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Die undankbare Fremde

Die undankbare Fremde

Titel: Die undankbare Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irena Brezna
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eine Schiene, werfen alles wieder weg. Spielzeugteile, die es zusammenzusetzen gilt, daraus könnten Konstruktionen entstehen, doch es fehlt an Anleitung. Freude und Neugier sind hier ausgezogen und haben einen Schrottplatz hinterlassen. Die Mutter beschäftigt sich nur mit ihren finsteren Geldsorgen.
    »Sprachkurs besuchen?«
    »Das ist teuer.«
    »Die Kinder in einem Tagesheim unterbringen?«
    »Wer soll das bezahlen?«
    Die Depression, sagt der Therapeut, arbeite mit Täuschung, sie kleide die Ängste seriös ein. Geldsorgen, das klinge nach handfester Realität. Nichts als Bluff sei das. Die Frau murmelt, sie befürchte, ihr Mann würde die Arbeit verlieren. Als Mann hat sie ihn schon verloren, seine Matratze hat er ins Kinderzimmer gelegt, nun liegen Legosteine darauf. Im Schlafzimmer dagegen liegt nur sie, mit heruntergelassenen Jalousien, hierher wagen sich die Kinder nicht. Als die Frau geistesabwesend durch die Wohnung geht, sehen wir, was die Gefräßigkeit der Ängste angerichtet hat. Der ab genagte Körper muss sich vor ein paar Jahren zwei Mal gewölbt haben, und über den hervorstehenden Rippen muss Milch geflossen sein. Wir fügen uns dem Hausgeist, kein Lächeln, kein Leichtsinn. Wir werden nicht bewirtet, nicht einmal ein Glas Wasser, die Angst ist keine Gastgeberin. Diese Herrin will etwas, sie ist auf Beute aus. Ich bin hier ein Dolmetscherautomat und der Therapeut ein Vehikel zur Lösung des Lebensrätsels.
    Die Kinder schauen die Gäste nicht an, sie drehen weiter ihre verrückten, lauten Runden. Was wie unbändige Kraft aussieht, ist verzweifelt ziellos. Man fand Würgespuren am Hals des Mädchens. Wer ist der Täter? Die Vernachlässigung. Die Kinder haben Herrchen und Hund gespielt, das Bergsteigerseil zur Leine umgewandelt, während die Mutter in ihrem Zimmer lag. Sie könnte auch zwischen den Legosteinen liegen. Die Kinder würden den leblosen mütterlichen Körper aufheben und wieder wegwerfen.
    Die Verspätung im Kindergarten ist ein Indiz. Die Mutter steht morgens nicht auf, schickt die Kinder nicht rechtzeitig in die Welt hinaus. Die Kranke hängt im Seil, hindert die Gruppe am Aufstieg. Jetzt redet der Mann. Er arbeitet als Programmierer in einer anderen Stadt, fährt täglich hin und her, dolmetsche ich.
    Er korrigiert mich:
    »Ich pendle. Ich bin Pendler.«
    Das Wort kennt er also. Als er das sagt, richtet er sich auf. Das ist seine Identität, Pendler zwischen den Welten, im Zug zwischen zwei Städten pendelt er sich auf sich selbst ein, im Pendlerzug ist seine lose Gemeinschaft.
    Dort reifte der Entschluss. Tief in den Augenringen blitzt
    etwas auf.
    »Ich habe gekündigt.«
    Und er wächst über sich, über die Sorge um die Familie hinaus.
    »Ich habe dem Chef gesagt, ich bin unglücklich.«
    Die Frau erstarrt, als sei sie lebensgefährlich getroffen worden. Und dann lacht der Mann, verkrampft, er zeigt ihren Ängsten sein gerades Gebiss.
    Die Kinder stehen auf einmal still. Sie haben ihre Mützen über die Ohren gezogen, die gesteppten Windjacken zugeknöpft und drücken die Gesichter an die Milchglasscheibe der Haustür. Aufbruchbereit.
    Ich flüchtete in die Natur, sie würde mich vorbehaltlos aufnehmen. Unterwegs zum Gipfel suchten meine Begleiter Schilder, um sich zu vergewissern, was verboten war. Sie fanden keine vor und wurden ratlos. Durften sie die Wanderwege verlassen, über eine gemähte Wiese gehen, im Weiher baden? Willkür herrschte in solcher Landschaft, unsicher tappten sie umher. Im unwegsamen Gestrüpp verdüsterten sie sich, während meine Sinne erwachten. Endlich, da tauchte eine Verbotstafel auf, eine Verheißung, hochgeschossen wie eine junge Frau, schön rot umrandet, die Schrift dick und schwarz. Sie haben sie mir triumphierend vorgelesen.
    Aus unserer Diktatur wusste ich, wie man der Knechtschaft trotzt – indem man die Obrigkeit als Feind behandelt. Die Einheimischen, die gerne selbst in die Rolle der Ordnungshüter schlüpften, lebten mir vor, dass hier kein autoritärer Staat herrschte, sondern freie Bürger.
    »Käme bloß ein Erdbeben und begrübe ihre Vorschriften und Fahrpläne unter sich«, flüsterte ich Mara zu.
    »Hier sind auch Erdbeben vorhersehbar«, warnte sie mich.
    Und doch sehnten sich viele danach, ihren Gott in die Hölle zu schicken, wenigstens einmal. Man fuhr im Sommer in schlampige Länder, wurde laut, anzüglich, verstand keine Schilder, gab mehr Geld aus als vorgesehen und kehrte kleinlaut zurück, erschrocken über sich selbst,

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