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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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umzukommen,
denn im Land der Toten Berge
gibt es jenen Tiefen Abgrund,
dort haust Ygramul, die Viele,
der entsetzlichste der Schrecken…
    Selbst wenn Atréju gewußt hätte, in welcher Richtung er gehen mußte, um zurückzukehren, es wäre nicht mehr möglich gewesen. Er war schon zu weit vorgedrungen. Er konnte nur noch weitergehen. Wäre es nur um seine eigene Person gegangen, so hätte er sich vielleicht einfach in eine Felsenhöhle gesetzt und dort gelassen den Tod erwartet, wie die Jäger seines Volkes es in solchen Fällen zu tun pflegten. Doch er war auf der Großen Suche, es ging um das Leben der Kindlichen Kaiserin und um ganz Phantasien. Es war ihm nicht erlaubt, aufzugeben. So stieg er immer weiter bergauf und bergab, und bisweilen wurde ihm bewußt, daß er lange Zeit wie ein Schlafender gelaufen war, während sein Geist in anderen Gefilden weilte und nur ungern zurückkehrte.
    Bastian schreckte zusammen. Die Turmuhr schlug eins. Für heute war der Unterricht zu Ende. Bastian horchte auf das Lärmen und Schreien der Kinder, die unten aus den Klassenzimmern und durch die Korridore stürmten. Das Poltern vieler Füße auf den Treppen war zu hören. Dann klangen noch für eine kleine Weile verschiedene Rufe von der Straße herauf. Und schließlich breitete sich Stille im Schulhaus aus.
    Diese Stille legte sich auf Bastians Gemüt wie eine dumpfe, schwere Decke, die ihn zu ersticken drohte. Von jetzt an würde er ganz mutterseelenallein in dem großen Schulhaus sein - den ganzen Tag, die kommende Nacht, wer weiß wie lang. Von jetzt an wurde die Sache ernst.
    Die anderen gingen jetzt nach Hause zum Mittagessen. Auch Bastian hatte Hunger, und er fror, trotz der umgehängten Militärdecken. Plötzlich verlor er jeden Mut, sein ganzer Plan kam ihm völlig verrückt und sinnlos vor. Er wollte heimgehen, jetzt gleich, auf der Stelle! Jetzt war gerade noch Zeit. Bis jetzt konnte der Vater noch nichts gemerkt haben. Bastian brauchte ihm noch nicht einmal zu sagen, daß er heute Schule geschwänzt hatte. Natürlich würde es irgendwann herauskommen, aber bis dahin würde Zeit vergehen. Und die Sache mit dem gestohlenen Buch? Ja, auch das würde er irgendwann gestehen müssen. Der Vater würde es schließlich hinnehmen, wie er alle Enttäuschungen hinnahm, die Bastian ihm bereitet hatte. Es gab keinen Grund, sich vor ihm zu fürchten. Wahrscheinlich würde er stillschweigend zu Herrn Koreander gehen und alles in Ordnung bringen.
    Bastian griff schon nach dem kupferfarbenen Buch, um es in die Mappe zu packen, aber dann hielt er inné.
    »Nein«, sagte er plötzlich laut in die Stille des Speichers hinein, »Atréju würde nicht so schnell aufgeben, bloß weil es ein bißchen schwierig wird. Was ich angefangen habe, muß ich zu Ende führen. Jetzt bin ich schon zu weit gegangen, um noch umzukehren. Ich kann nur noch weitergehen, was auch daraus werden mag.«
    Er fühlte sich sehr einsam, und doch war in diesem Gefühl zugleich so etwas wie Stolz, Stolz darauf, daß er stark geblieben war und der Versuchung nicht nachgegeben hatte. Ein ganz klein wenig Ähnlichkeit hatte er doch wohl mit Atréju!
    Der Augenblick war gekommen, wo Atréju wirklich nicht mehr weiterkonnte. Vor ihm gähnte der Tiefe Abgrund.
    Die großartige Schauerlichkeit des Anblicks läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Quer durch das Land der Toten Berge klaffte die Erde in einem Riß, der etwa eine halbe Meile breit sein mochte. Seine Tiefe war nicht zu erkennen.
    Atréju lag am Rande auf einem Felsenvorsprung und starrte in die Finsternis hinunter, die bis ins Innerste der Erde zu reichen schien. Er nahm einen kopfgroßen Stein, der in seiner Reichweite lag, und schleuderte ihn so weit hinaus, wie er konnte. Der Stein fiel und fiel und fiel, bis ihn die Dunkelheit verschlang. Atréju lauschte, aber kein Geräusch des Aufpralls drang an sein Ohr, obgleich er lange wartete.
    Und dann tat er das einzige, was ihm zu tun übrigblieb: Er begann am Rande des Tiefen Abgrunds entlang zu wandern. Dabei war er jeden Augenblick gewärtig, jenem »entsetzlichsten der Schrecken« zu begegnen, von dem das alte Lied erzählte. Er wußte nicht, um was für eine Art von Geschöpf es sich handeln mochte, er wußte nur, daß sein Name Ygramul lautete.
    Der Tiefe Abgrund verlief in einer gezackten Linie durch die Bergwüste, und natürlich gab es an seinem Rand keinen Weg, sondern auch hier erhoben sich Felsentürme, die er erklimmen mußte und die manchmal

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