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Die unendliche Geschichte

Die unendliche Geschichte

Titel: Die unendliche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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auf seiner Brust und hielt es so, daß ihr teichgroßes Auge es sehen mußte.
    »Kennst du das, Morla?«
    Es dauerte eine Weile, ehe sie antwortete:
    »Schau mal, Alte - AURYN - wir haben’s lang nicht mehr gesehen, das Zeichen der Kindlichen Kaiserin - lang nicht mehr.«
    »Die Kindliche Kaiserin ist krank«, versetzte Atréju, »wußtest du das?«
    »Ist uns gleich, nicht wahr, Alte?« erwiderte die Morla. Sie schien auf diese eigentümliche Art mit sich selbst zu reden, vielleicht, weil sie keinen anderen Gesprächspartner hatte, wer weiß, seit wie langer Zeit schon.
    »Wenn wir sie nicht retten, wird sie sterben«, setzte Atréju dringlicher hinzu.
    »Auch recht«, antwortete die Morla.
    »Aber mit ihr wird Phantasien untergehen«, rief Atréju, »die Vernichtung breitet sich schon überall aus. Ich habe es selbst gesehen.«
    Die Morla starrte ihn aus ihrem riesigen, leeren Auge an.
    »Wir haben nichts dagegen, nicht wahr, Alte?« gurgelte sie.
    »Dann werden wir alle zugrunde gehen!« schrie Atréju, »wir alle!«
    »Schau mal, Kleiner«, antwortete die Morla, »was kümmert uns das noch? Ist alles nicht mehr wichtig für uns. Ist doch alles gleich, ist alles ganz gleich.«
    »Auch du wirst vernichtet werden, Morla!« schrie Atréju zornig, »auch du ! Oder meinst du, weil du so alt bist, wirst du Phantasien überleben?«
    »Schau mal«, gurgelte die Morla, »wir sind alt, Kleiner, viel zu alt. Haben lang genug gelebt. Haben zu viel gesehen. Wer so viel weiß wie wir, dem ist nichts mehr wichtig. Alles wiederholt sich ewig, Tag und Nacht, Sommer und Winter, die Welt ist leer und ohne Sinn. Alles dreht sich im Kreis. Was entsteht, muß wieder vergehen, was geboren wird, muß sterben. Hebt sich alles auf, das Gute und das Böse, das Dumme und das Weise, das Schöne und das Häßliche. Ist alles leer. Nichts ist wirklich. Nichts ist wichtig.«
    Atréju wußte nicht, was er antworten sollte. Der riesenhafte, dunkle und leere Blick der Uralten Morla lahmte alle seine Gedanken. Nach einer Weile hörte er, daß sie wieder sprach : »Du bist jung, Kleiner. Wir sind alt. Wenn du alt wärst wie wir, dann wüßtest du, daß es nichts gibt als die Traurigkeit. Schau mal. Warum sollen wir nicht sterben, du, ich, die Kindliche Kaiserin, alle, alle? Ist dochailes nur Schein, nur ein Spie! im Nichts. Ist alles ganz gleich. Laß uns in Ruh’, Kleiner, geh fort.«
    Atréju spannte all seinen Willen an, um sich der Lähmung, die von ihrem Blick ausging, zu widersetzen.
    »Wenn du so viel weißt«, sagte er, »weißt du dann auch, worin die Krankheit der Kindlichen Kaiserin besteht und ob es ein Heilmittel für sie gibt?«
    »Wissen wir, nicht wahr, Alte, wissen wir«, schnaufte die Morla, »ist aber gleich, ob sie gerettet wird oder nicht. Wozu sollen wir’s also sagen?«
    »Wenn es dir wirklich ganz gleich ist«, drang Atréju in sie, »dann könntest du es mir ebensogut sagen.«
    »Könnten wir auch, Alte, nicht wahr?« grunzte die Morla, »haben aber keine Lust dazu.« »Dann«, rief Atréju, »ist es dir eben nicht wirklich gleich! Dann glaubst du selber nicht, was du sagst!«
    Es blieb lange still, dann hörte er ein tiefes Gurgeln und Rülpsen. Es muß wohl eine Art Lachen gewesen sein, falls die Uralte Morla überhaupt noch Gelächter kannte. Jedenfalls sagte sie:
    »Bist schlau, Kleiner. Schau mal. Bist schlau. Haben schon lang nicht mehr so viel Spaß gehabt, nicht wahr, Alte? Schau mal. Wir können dir’s wirklich ebensogut sagen. Macht keinen Unterschied. Sollen wir’s ihm sagen, Alte?«
    Eine lange Stille trat ein. Atréju wartete gespannt auf Morlas Antwort, ohne ihre langsamen und trostlosen Gedankengänge durch Fragen zu unterbrechen. Endlich fuhr sie fort zu reden: »Du lebst kurz, Kleiner. Wir leben lang. Schon viel zu lang. Aber wir leben in der Zeit. Du kurz. Wir lang. Die Kindliche Kaiserin war schon vor mir da. Aber sie ist nicht alt. Sie ist immer jung. Schau mal. Ihr Dasein bemißt sich nicht nach Dauer, sondern nach Namen. Sie braucht einen neuen Namen, immer wieder einen neuen. Kennst du ihren Namen, Kleiner?« »Nein«, gab Atréju zu, »ich habe ihn noch nie gehört.«
    »Kannst du auch nicht«, antwortete die Morla, »nicht mal wir können uns daran erinnern. Und doch hat sie schon viele gehabt. Aber sie sind alle vergessen. Ist alles vorbei. Schau mal. Aber ohne Namen kann sie nicht leben. Braucht nur einen neuen Namen, die Kindliche Kaiserin, dann wird sie wieder gesund. Liegt aber nichts dran,

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