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Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Titel: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milan Kundera
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Prag, aber das Mädchen, ist sie überhaupt aus Prag? Habe ich sie nicht woanders getroffen? Ist es vielleicht ein Mädchen aus der Schweiz? Es dauerte noch eine Weile, bis er begriffen hatte, daß er das Mädchen gar nicht kannte, daß sie weder aus Zürich noch aus Prag stammte, daß es ein Mädchen aus seinem Traum war und von nirgendwo sonst.
    Er war so verwirrt darüber, daß er sich auf den Bettrand setzte. Teresa atmete tief im Schlaf. Er dachte daran, daß das Mädchen aus dem Traum keiner der Frauen glich, denen er in seinem Leben begegnet war. Das Mädchen, das ihm so vertraut, so bekannt vorkam, war ihm in Wirklichkeit ganz unbekannt. Aber gerade nach ihr hatte er sich immer gesehnt.
    Existierte für ihn ein persönliches Paradies, so müßte er in diesem Paradies an ihrer Seite leben. Diese Frau war das »Es muß sein!« seiner Liebe.
    Er erinnerte sich an den bekannten Mythos aus Platons >Gastmahl<: zunächst waren die Menschen Hermaphroditen, und dann spaltete Gott sie in zwei Hälften, die seither in der Welt umherirren und einander suchen. Die Liebe ist die Sehnsucht nach der verlorenen Hälfte von uns selbst.
    Nehmen wir an, es sei so, daß jeder von uns irgendwo auf der Welt einen Partner besitzt, mit dem er einst einen einzigen Körper gebildet hat. Diese zweite Hälfte von Tomas ist das Mädchen, von dem er geträumt hat. Nur findet man seine zweite Hälfte niemals wieder. Statt dessen wird einem in einem Körbchen eine Teresa übers Wasser geschickt. Und was geschieht, wenn man danach tatsächlich die Frau trifft, die für einen bestimmt war, seine eigene zweite Hälfte? Wem gibt man den Vorzug? Der Frau aus dem Körbchen oder der Frau aus Platons Mythos?
    Er stellt sich vor, daß er in einer idealen Welt mit dem Mädchen aus seinem Traum lebt. Und schon geht Teresa an den geöffneten Fenstern ihrer Villa entlang. Sie ist allein, bleibt auf dem Gehsteig stehen und schaut ihn mit ihren unendlich traurigen Augen an. Und er hält diesen Blick nicht aus. Schon wieder spürt er ihren Schmerz in seinem eigenen Herzen. Schon wieder ist er in der Gewalt des Mitgefühls und verfällt Teresas Seele. Er springt durch das Fenster ins Freie. Doch sie sagt ihm bitter, er solle dort bleiben, wo er sich glücklich fühle. Ihre Gesten sind fahrig und zusammenhanglos, die Gesten, die ihn stets an ihr gestört haben, die Gesten, die ihm immer mißfallen haben. Er faßt ihre nervösen Hände, hält sie in den seinen, um sie zu beruhigen.
    Und er weiß, daß er das Haus seines Glücks von einem Augenblick zum andern verlassen wird, sein Paradies, wo er mit dem Mädchen aus dem Traum lebt, daß er das »Es muß sein!« seiner Liebe verraten wird, um mit Teresa fortzugehen, mit dieser aus sechs lächerlichen Zufällen geborenen Frau.
    Er saß noch immer auf dem Bettrand und blickte auf die
    Frau, die neben ihm lag und ihm im Schlaf die Hand hielt. Er empfand eine unaussprechliche Liebe für sie. Ihr Schlaf mußte in diesem Moment sehr leicht sein, denn sie öffnete die Augen und sah ihn verwirrt an.
    »Wohin schaust du?« fragte sie.
    Er wußte, er durfte sie nicht wecken, er mußte sie in den Schlaf zurückführen, und daher versuchte er, so zu antworten, daß seine Worte in ihrem Geist zum Anfangsbild eines neuen Traumes wurden.
    »Ich schaue die Sterne an«, sagte er.
    »Lüg doch nicht, du schaust nicht die Sterne an, du schaust ja nach unten!«
    »Weil wir in einem Flugzeug sitzen. Die Sterne sind unter uns«, antwortete Tomas.
    »Ach so, im Flugzeug«, sagte Teresa. Sie drückte Tomas' Hand noch fester und schlief wieder ein. Tomas wußte, daß Teresa jetzt durch ein kreisrundes Fenster eines Flugzeuges schaute, das hoch über den Sternen dahinflog.
SECHSTER TEIL DER GROßE MARSCH
    Erst im Jahre 1980 erfuhr man aus der Sunday Times, wie Stalins Sohn Iakov gestorben war. Er war im Zweiten Weltkrieg als Gefangener zusammen mit englischen Offizieren in einem deutschen Lager interniert. Sie hatten eine gemeinsame Latrine. Stalins Sohn hinterließ sie immer verschmutzt.
    Den Engländern gefiel es nicht, sich eine mit Scheiße verschmierte Latrine ansehen zu müssen, auch wenn es sich um die Scheiße des Sohnes des damals mächtigsten Mannes der Welt handelte. Sie machten ihm Vorwürfe. Er war beleidigt.
    Sie wiederholten ihre Vorwürfe immer wieder und zwangen ihn, die Latrine zu reinigen. Er wurde wütend, stritt und prügelte sich mit ihnen. Schließlich bat er den Lagerleiter um eine Audienz. Er wollte, daß dieser

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