Die Ungehorsame Historischer Roman
ihr schönes neues Kleid.«
»Die Erde hat gewackelt, Tante Edith. Und die Torte ist umgefallen.«
»Ja, das haben wir gesehen!«
»Hast du das auch gemerkt, Onkel? Die Erde hat gewackelt. Und die Torte ist umgefallen.«
»Ja, Kind. Aber nun geh mit deiner Tante.«
Rosalie machte ein paar Schritte, blieb dann aber vor dem Trauzeugen stehen, einem gut aussehenden Offizier, Freund des Bräutigams, und erklärte auch ihm, was geschehen war.
»Wirst du wohl sofort Tante Edith folgen!«, fauchte die Braut und schubste das Mädchen grob Richtung Tür.
Hendryk Mansel kamen die nächsten Zweifel, ob seine Wahl eine gute war. Denn im Umgang mit Kindern schien seine Angetraute nicht viel Geduld an den Tag zu legen. Er seufzte kaum hörbar. Manche Pläne sollte man vermutlich doch etwas gründlicher durchdenken.
»Ich glaube, es wäre für alle Beteiligten das Beste, wenn Sie auf weitere Geselligkeiten verzichteten und den Weg in Ihr Heim antreten würden«, murmelte der Pastor neben ihm. »Es hat genug Aufruhr gegeben.«
»Da haben Sie wohl Recht, Pastor. Frau Mansel, würden Sie sich zum Aufbruch bereit machen?«
»Natürlich, Herr Gemahl!«
In untadeliger Haltung verabschiedete sich Leonora von ihrer Familie, um dann ein letztes Mal ihr Zimmer aufzusuchen und das blauseidene Festtagskleid gegen ein tannengrünes Reisekostüm zu wechseln. Sie steckte eben die Haare fest, um eine passende grüne, rosa paspelierte Schute aufzusetzen, als ihre Cousine Edith in den Raum trat.
»Die Farbe steht dir nicht«, stellte sie trocken fest.
»Ich weiß. Aber es ist ein Geschenk meiner Stiefmutter.«
»Aha.« Edith nickte verstehend und meinte dann mit weiterhin nüchterner Stimme: »Das mit der Konvertierung war wohl unvermeidbar, aber das Erdbeben war überflüssig, Leonie!« Dabei knüpfte sie die breite Schleife unter dem jetzt nicht mehr trotzigen, sondern nur mädchenhaft spitzen Kinn der Braut zurecht.
Ein freudloses Lachen antwortete ihr.
»Keine gelungene Hochzeit, nicht wahr?«
»Nein, sicher nicht das rauschendste Fest. Aber du bist nun eine verheiratete Frau und kannst dein eigenes Leben leben.«
»Wir werden sehen. Danke, Cousine Edith!« Leonie umarmte die Buckelige und drückte sie eng an sich. »Ich habe Angst!«
»Ich weiß. Aber bedenke, es ist das kleinere Übel!«
Die junge Frau bezwang ihr undamenhaftes Zittern und straffte sich.
»En avant!«
Im Hof standen der Bräutigam und sein Trauzeuge, der Leutnant Ernst von Benningsen, neben der Reisekutsche, die bereits mit ihrem Gepäck beladen war. Der Offizier war ein gut aussehender, hochgewachsener Mann mit einem schmucken Backenbart, der jedoch nur zum Teil die Narben einer üblen Brandverletzung auf seiner Wange verbergen konnte. Hendryk Mansel, vielleicht sogar noch ein wenig größer als er, konnte ebenfalls als gut aussehender Mann gelten, doch gab ihm eine schwarze Klappe über dem rechten Auge ein seltsam verwegenes Air. Bei einem Blick in das spiegelnde Glas des Kutschfensters, in dem ihrer beider Gesichter zu sehen waren, murmelte er bitter: »Ein hübsches Paar geben wir ab!«
»Wir? Oder meinst du dich und deine Frau? Sie ist wahrhaftig der hübschere Teil dieser Verbindung, Hendryk.«
Der schnaubte kurz.
»Ihr Aussehen mag sein, wie es will, ich hoffe, sie besinnt sich wieder auf ihr Benehmen als Dame. Bisher hatte ich sie für recht angenehm erzogen gehalten, aber vorhin hat sie mich etwas enttäuscht.«
»Du bist ein kalter Hund, Hendryk. Gestehe einer Dame, so untadelig sie auch sonst sein mag, an ihrem Hochzeitstag - mit Erdbeben - ein wenig angegriffene Nerven zu. Sie hat trotz allem eine gute Haltung bewiesen, und du solltest dich auf deine besinnen. Es war schließlich deine Idee, um sie anzuhalten.«
Ein Schlag auf die Schulter ließ den Leutnant zusammenzucken, aber ein kleines Lachen milderte die Geste.
»Touché, mein Freund. Und nun leb wohl. Denn hier kommt die Braut. Wir sehen uns die nächsten Tage gewiss.«
Leonie nahm ihren Platz in Fahrtrichtung der Kutsche ein und legte die behandschuhten Hände ruhig im Schoß zusammen. Sie saß sehr aufrecht und vermied es, sich mit dem Rücken an das Polster zu lehnen, wie sie es von Kindheit an gelernt hatte. Ihr Gatte setzte sich ihr gegenüber, legte seinen Zylinder neben sich auf das Polster und machte es sich in etwas legererer Haltung bequem. Das Gefährt ruckte an, und man rollte auf die Straße. Die junge Braut hielt ihren Blick auf ihre Hände gerichtet und
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