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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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den ganzen Platz schauen und sehen kann, wie die Nacht hereinbricht. Tja, da habe ich also über den Platz geschaut, und ich dachte so bei mir: ›Wer mag nur dieser arme Kerl sein, der da drüben ganz allein sitzt.‹ Aber meine Augen sind nicht mehr so gut, wissen Sie, und deshalb war mir nicht gleich klar, daß Sie es waren, Mr. Ryder. Dann sagte Karl in einer Art Flüsterton – er muß wohl gespürt haben, daß es keine so gute Idee wäre, das laut zu sagen -, er sagte also zu mir: ›Ich mag mich ja irren, aber ist das nicht Mr. Ryder höchstpersönlich? Da drüben?‹ Und dann habe ich noch einmal hingeschaut und gedacht, ja, das ist wohl möglich. Wieso um alles in der Welt sitzt er denn da in der Kälte, und weshalb mag er wohl so traurig sein? Ich werde nachsehen gehen, ob er es tatsächlich ist. Erlauben Sie mir zu sagen, Mr. Ryder, daß Karl wirklich sehr diskret war. Keiner von den anderen hat gehört, was er gesagt hat, außer ihm weiß also niemand, wieso ich hinausgeschlüpft bin, obwohl einige jetzt möglicherweise gerade in unsere Richtung schauen und sich fragen, was ich hier tue. Aber ganz im Ernst, Mr. Ryder, geht es Ihnen auch wirklich gut? Sie sehen aus, als mache Ihnen irgend etwas zu schaffen.«
    »Oh...« Ich seufzte und rieb mir über das Gesicht. »Es ist nichts. Es ist nur diese viele Herumreiserei, diese ganze Verantwortung. Hin und wieder wird es einfach...« Ich brach ab und lachte kurz auf.
    »Aber wieso sitzen Sie denn hier ganz allein, Mr. Ryder? Es ist recht kühl heute abend, und Sie tragen nur ein Jackett. Und das, nachdem ich Ihnen gesagt habe, wie gerne wir Sie bei uns sehen würden, wann immer Sie einmal in das Ungarische Café kommen. Haben Sie etwa gedacht, wir würden Sie mit etwas anderem als überschwenglicher Begeisterung begrüßen, wenn Sie zu uns herüberkommen? Ganz allein hier zu sitzen! Also wirklich, Mr. Ryder! Bitte kommen Sie und setzen Sie sich sofort zu uns. Dann können Sie sich entspannen und den Abend genießen. Und all Ihre Sorgen erst einmal vergessen. Die Jungs werden überglücklich sein. Bitte.«
    Auf der anderen Seite des Platzes erschien all das, dieses strahlende Licht im Eingangsbereich, die Musik, das Gelächter, wirklich einladend. Ich stand auf und rieb mir noch einmal über das Gesicht.
    »So ist’s recht, Mr. Ryder. Gleich wird es Ihnen bessergehen.«
    »Ich danke Ihnen. Ich danke Ihnen. Wirklich, ich danke Ihnen.« Ich gab mir Mühe, meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Wirklich. Ich hoffe nur, ich dränge mich nicht auf.«
    Gustav lachte. »Das werden Sie ja gleich sehen, ob Sie sich aufdrängen oder nicht, Mr. Ryder.«
    Als wir uns auf den Weg über den Platz machten, überlegte ich, daß ich mich besser innerlich einstellen sollte auf die Begegnung mit den Hoteldienern, die bei meinem Erscheinen ganz bestimmt von Dankbarkeit und Aufregung überwältigt sein würden. Mit jedem Schritt, den ich machte, hatte ich mich besser unter Kontrolle, und gerade wollte ich Gustav gegenüber eine höfliche Bemerkung machen, da blieb er plötzlich stehen. Er hatte mir ganz sacht die Hand auf den Rücken gelegt, als wir uns auf den Weg über den Platz gemacht hatten, und ich spürte, daß sich, nur eine Sekunde lang, seine Finger fest um das Material meines Jacketts schlossen. Ich drehte mich um und sah Gustav in dem schummerigen Licht ganz still dastehen und auf den Boden hinunterschauen, die eine Hand hatte er zu den Brauen gehoben, als sei ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen. Bevor ich dann allerdings etwas sagen konnte, schüttelte er den Kopf und lächelte unsicher.
    »Entschuldigen Sie, Mr. Ryder. Ich habe gerade... ich habe gerade...« Er lachte kurz auf und ging dann wieder weiter.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »O ja, ja. Wissen Sie, Mr. Ryder, die Jungs werden ganz begeistert sein, wenn Sie durch diese Tür kommen.«
    Er trat ein oder zwei Schritte vor und ging mir entschlossen über den Platz voran.

SIEBENUNDZWANZIG
    Erst als ich das Café betrat und die Wärme spürte, die vom Kaminfeuer im hinteren Teil des Raumes ausging, wurde mir bewußt, wie kühl der Abend geworden war. Seit meinem ersten Besuch in dem Café waren die Möbel umgestellt worden. Die meisten Tische waren an die Wände gerückt worden, um einem großen runden Tisch Platz zu machen, der jetzt die Mitte des Raumes einnahm. An diesem Tisch saß etwa ein Dutzend Männer, sie alle tranken Bier und waren ausgelassener Stimmung. Sie wirkten

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