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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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gutes Gespür für Anständigkeit entwickelt. Sie sind durch und durch anständig, das sehen wir alle. Anständig und freundlich. Sie denken jetzt womöglich, daß wir Sie einfach nur deshalb bei uns willkommen heißen, weil Sie uns helfen wollen. Und natürlich sind wir Ihnen auch dankbar dafür. Aber ich weiß, daß alle hier Sie wirklich mögen, und das wäre anders, wenn Sie nicht so ein anständiger Kerl wären. Wenn Sie zu hochnäsig oder irgendwie unaufrichtig wären, hätten alle die Nase gerümpft. O ja. Selbstverständlich wären sie Ihnen trotzdem noch dankbar, sie würden Sie gut behandeln, aber sie würden Sie nicht so mögen. Ich will damit folgendes sagen, Mr. Ryder: Auch wenn Sie nicht berühmt wären, wenn Sie nur irgendein durch Zufall hier hereingestolperter Fremder wären, hätten wir Sie, wenn wir erst einmal gesehen hätten, daß Sie in Ordnung sind, wenn Sie erklärt hätten, daß Sie weit weg von zu Hause sind und ein wenig Gesellschaft suchen, herzlich willkommen geheißen. Wir hätten Sie nicht viel anders aufgenommen, als wir es jetzt getan haben, nachdem wir uns überzeugt hatten, daß Sie ein anständiger Kerl sind. Oh, wir sind wirklich nicht halb so reserviert, wie die Leute sagen. Von jetzt an können Sie uns zu Ihren Freunden zählen, Mr. Ryder.«
    »Ja, bestimmt«, sagte jemand zu meiner Rechten. »Wir sind jetzt Ihre Freunde. Wenn Sie in dieser Stadt je in Schwierigkeiten stecken, können Sie auf uns zählen.«
    »Ich danke Ihnen sehr«, erwiderte ich. »Ich danke Ihnen. Ich werde heute abend in Ihrer Sache mein Bestes geben. Aber ich muß Sie wirklich warnen...«
    »Bitte, Mr. Ryder«, sagte Gustav ganz leise und dicht an meinem Ohr. »Bitte machen Sie sich keine Sorgen mehr. Alles kommt in Ordnung. Wieso amüsieren Sie sich nicht einfach ein bißchen?«
    »Aber ich wollte doch Ihre Freunde nur warnen...«
    »Wirklich, Mr. Ryder«, fuhr Gustav leise fort. »Es ist bewundernswert, wie Sie sich einsetzen. Aber Sie machen sich zu viele Sorgen. Entspannen Sie sich und amüsieren Sie sich. Nur eine Weile. Sehen Sie uns doch an. Wir alle hier haben Sorgen. Ich zum Beispiel muß mich gleich wieder auf den Weg in den Konzertsaal machen, ich muß wieder an die Arbeit zurück. Aber wenn wir uns hier treffen, sind wir immer froh, unter Freunden zu sein, und dann vergessen wir alles andere. Wir schalten ab und amüsieren uns.« Dann hob Gustav die Stimme über dem Tumult. »Kommt schon, wir wollen Mr. Ryder einmal zeigen, wie wir uns wirklich amüsieren! Wir wollen ihm einmal zeigen, wie wir das machen!«
    Diese Ankündigung wurde jubelnd und mit weiterem Beifall aufgenommen, dann verfielen alle am Tisch in rhythmisches Klatschen. Die Zigeuner spielten immer schneller und schneller, jetzt im Takt zu dem Klatschen, und einige andere Gäste des Lokals, die zugesehen hatten, fingen ebenfalls an zu klatschen. Auch fiel mir auf, daß die Leute überall im Raum tatsächlich ihre Unterhaltung unterbrachen und ihre Stühle herumdrehten, als wollten sie Zeuge eines ungeduldig erwarteten Spektakels werden. Ein Mann, den ich für den Besitzer hielt – er war dunkelhaarig und groß -, kam aus einem Hinterzimmer hervor und stand da, an den Türrahmen gelehnt, offenbar genauso versessen darauf, sich nichts von dem, was folgen würde, entgehen zu lassen.
    Die Hoteldiener klatschten immer noch und waren immer fröhlicher geworden, einige stampften mit dem Fuß auf den Boden, um den Rhythmus noch zu betonen. Dann erschienen zwei Kellner und fingen hastig an, alles vom Tisch abzuräumen. Biergläser, Kaffeetassen, Zuckerdosen, Aschenbecher – alles verschwand im Handumdrehen, und dann kletterte einer der Hoteldiener, ein stämmiger Mann mit Bart, auf den Tisch. Sein Gesicht war unter dem buschigen Bart hellrot, ob vor Verlegenheit oder vom Alkohol, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls schien er, kaum daß er auf dem Tisch war, keine Hemmungen mehr zu haben, und grinsend fing er an zu tanzen.
    Es war ein merkwürdiger, statischer Tanz, die Füße lösten sich kaum je von der Tischplatte, ein Tanz, der eher die statuenhaften Eigenschaften des Körpers betonte als seine Beweglichkeit oder seine agile Anmut. Der bärtige Hoteldiener nahm eine Pose ein, die an einen griechischen Gott erinnerte, die Arme hielt er so, als würde er eine unsichtbare Last tragen, und während das Klatschen und die Ermunterungsrufe noch anhielten, veränderte er ganz leicht die Stellung der Hüfte oder drehte sich langsam um die eigene

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