Die Ungetroesteten
weiter auf die Schatten, die von meinem Kopf auf die metallische Oberfläche des Tisches geworfen wurden. All die Möglichkeiten, die mich den bevorstehenden Abend betreffend beunruhigt hatten, fingen wieder an, in meinem Kopf herumzuwirbeln. Vor allem kehrte der eine deprimierende Gedanke immer wieder, daß meine Entscheidung, mich vor dem Sattler-Haus fotografieren zu lassen, meinem Ansehen hier in der Stadt unwiderruflichen Schaden zugefügt hatte; daß ich nun erschreckend viel wiedergutzumachen hatte und daß nur eine außerordentlich imponierende Leistung während der Frage-und-Antwort-Runde allseitige katastrophale Konsequenzen verhindern konnte. Einen Moment lang fühlte ich mich von all diesen Gedanken tatsächlich so überwältigt, daß ich den Tränen nahe war. Doch da spürte ich eine Hand auf meinem Rücken und hörte jemanden ganz sacht über mir wieder und wieder sagen: »Mr. Ryder. Mr. Ryder.«
Ich nahm an, es wäre der Kellner, der mit meinem Kaffee zurückgekommen war, und machte ihm Zeichen, er solle ihn vor mir absetzen. Doch die Stimme rief wieder und wieder meinen Namen, und als ich aufschaute, entdeckte ich Gustav, der besorgt zu mir herabsah.
»Ach, hallo«, sagte ich.
»Guten Abend, Mr. Ryder. Wie geht es Ihnen? Ich dachte mir, daß Sie es sind, aber ich war nicht ganz sicher, also bin ich herübergekommen. Geht es Ihnen gut, Mr. Ryder? Wir sind alle da drüben, all die Jungs, wollen Sie nicht kommen und sich zu uns setzen? Die Jungs wären wirklich hoch entzückt.«
Ich schaute mich um und sah, daß ich am Rand eines Platzes saß. Obwohl in der Mitte eine einzelne Straßenlaterne stand, lag der Platz größtenteils im Dunkeln, so daß die Umrisse der darüber hinwegeilenden Menschen nur schemenhaft zu erkennen waren. Gustav deutete auf die gegenüberliegende Seite, wo ich ein Café sah, das etwas größer war als das, in dem ich saß, und dessen offenstehende Fenster und Türen ein warmes Licht nach draußen warfen. Selbst aus dieser Entfernung erkannte ich den Trubel im Innern, und Geigenklänge und Gelächter wurden durch den Abend zu uns herübergetragen. Erst da wurde mir bewußt, daß ich tatsächlich auf dem großen Platz in der Altstadt saß und zu dem Ungarischen Café hinüberschaute. Als ich mich noch weiter umsah, hörte ich Gustav sagen:
»Die Jungs, Mr. Ryder, wollten von mir wieder und immer wieder alles hören. Sie wissen schon, alles, was Sie gesagt haben und wie Sie zugestimmt haben. Ich habe es ihnen schon fünf- oder sechsmal erzählt, aber sie wollen es immer wieder hören. Sie lachen und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter, und kaum haben sie damit aufgehört, da kommen sie schon wieder und sagen: ›Na also, Gustav, wir wissen, du hast uns noch nicht alles erzählt. Was genau hat denn Mr. Ryder gesagt?‹ ›Das habe ich euch doch schon erzählt‹, sage ich dann. ›Das habe ich euch doch schon erzählt. Ihr wißt das ganz genau.‹ Aber sie möchten es alles noch einmal hören, und ich wette, sie werden es noch ein paarmal hören wollen, ehe der Abend um ist. Und wenn ich dann diesen gelangweilten Ton annehme, ist das natürlich nur gespielt, Mr. Ryder. In Wirklichkeit bin ich natürlich genauso aufgeregt wie alle anderen und würde mit Freuden unsere Unterhaltung von heute morgen immer und immer noch einmal wiederholen. Es tut so gut, sie wieder so zuversichtlich zu sehen. Ihr Versprechen, Mr. Ryder, hat neue Hoffnung, eine neue Jugend auf ihre Gesichter gebracht. Selbst Igor hat gelächelt, hat über einige Witze gelacht! Ich weiß gar nicht mehr, wann ich ihn zuletzt so gesehen habe. O ja, Mr. Ryder, ich würde das Ganze liebend gern noch viele Male erzählen. Immer wenn ich zu der Stelle komme, als Sie sagten: ›Na schön. Ich werde gerne ein paar Worte in Ihrer Sache sagen‹, immer wenn ich zu dieser Stelle komme, dann sollten Sie sie sehen, Mr. Ryder! Sie jubeln und lachen und klopfen einander auf die Schulter, es ist schon ewig her, daß ich sie so erlebt habe. Da saßen wir also, Mr. Ryder, tranken unser Bier und sprachen über Ihre enorme Großzügigkeit, sprachen darüber, wie die Arbeit des Hoteldieners nach all diesen Jahren mit dem heutigen Abend für immer anders werden würde, ja, und während wir gerade über all das sprachen, habe ich zufällig hinausgeschaut, und da habe ich Sie gesehen, Mr. Ryder. Der Café-Besitzer hat, wie Sie sehen können, die Tür offengelassen. Das verleiht dem Lokal eine viel bessere Atmosphäre, wenn man über
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