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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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Achse. Einen Moment lang fragte ich mich, ob das Ganze komisch sein sollte, doch trotz des ausgelassenen Gelächters überall am Tisch war bald klar, daß die Vorstellung keine Satire zu sein beabsichtigte. Als ich dem bärtigen Hoteldiener noch zusah, stupste mich jemand an und sagte:
    »Das ist es, Mr. Ryder. Unser Tanz. Der Hoteldiener-Tanz. Davon haben Sie doch sicher schon gehört.«
    »Ja«, erwiderte ich. »Ach ja. Das ist also der Hoteldiener-Tanz.«
    »Genau. Aber warten Sie nur ab, bis jetzt haben Sie noch nichts gesehen.« Der Mann, der da mit mir gesprochen hatte, stupste mich grinsend noch einmal an.
    Da sah ich, daß ein großer brauner Pappkarton von Hoteldiener zu Hoteldiener herumgereicht wurde. Der Karton hatte ungefähr die Ausmaße eines Koffers, doch nach der Art zu urteilen, in der er durch die Luft geschleudert wurde, war er wohl leicht und leer. Der Koffer machte einige Minuten lang die Runde am Tisch, dann wurde er an einer besonderen Stelle des Tanzes zu dem bärtigen Hoteldiener hinaufgeworfen. Der ganze Auftritt wirkte gut einstudiert. Genau im richtigen Moment änderte der bärtige Hoteldiener seine Pose und hob wieder die Arme, der Pappkarton kam durch die Luft geflogen und landete prompt in seinen Händen.
    Der bärtige Hoteldiener tat so, als habe er eine Steinplatte aufgefangen – was bei seinem Publikum ein ängstliches Brummen auslöste -, und ein oder zwei Sekunden lang sah er so aus, als würde er unter dem Gewicht zusammenbrechen. Doch dann begann er mit beträchtlicher Entschlossenheit, sich aufzurichten, bis er schließlich vollkommen gerade dastand, den Karton hielt er gegen die Brust gedrückt. Als daraufhin Jubelrufe ertönten, fing der bärtige Hoteldiener langsam an, den Karton über den Kopf zu stemmen, bis er ihn schließlich ganz hochgehoben hatte, beide Arme waren vollkommen gestreckt. Obwohl dies in Wirklichkeit natürlich kein Bravourstück war, hafteten der Vorstellung Würde und Dramatik an, was mich veranlaßte, in die Jubelrufe mit einzufallen, als habe er tatsächlich ein immenses Gewicht gestemmt. Der bärtige Hoteldiener machte sich dann mit beträchtlichem Geschick daran, die Illusion zu erzeugen, als werde seine Last leichter und immer leichter. Schon bald hielt er den Karton mit einer Hand in die Höhe und vollführte dabei kleine Pirouetten, wobei er den Karton zuweilen über die Schulter nach hinten warf und hinter dem Rücken wieder auffing. Je leichter die Last wurde, desto ausgelassener reagierten seine Kollegen. Als dann die Bravourstücke des bärtigen Hoteldieners immer kühner wurden, begannen seine Kollegen, sich um den ganzen Tisch herum anzuschauen, anzugrinsen und einander immer mehr anzustacheln, bis sich noch einer aus ihrer Gruppe, ein drahtiger kleiner Mann mit schmalem Schnurrbart, daranmachte, auf den Tisch zu klettern.
    Der Tisch wackelte und schwankte, doch die anderen Hoteldiener lachten, als gehörte all dies zu dem Schauspiel, dann hielten sie den Tisch fest, während der drahtige Hoteldiener hinaufkletterte. Zunächst bemerkte der Bärtige seinen Kollegen nicht und fuhr damit fort zu demonstrieren, wie gut er den Umgang mit dem Pappkarton beherrschte, während der drahtige Hoteldiener übellaunig hinter ihm stand, wie ein Mann, der darauf wartete, bei einer begehrten Tanzpartnerin an die Reihe zu kommen. Dann schließlich sah der bärtige Hoteldiener den drahtigen Mann und warf ihm den Karton zu. Als der drahtige Hoteldiener den Karton auffing, taumelte er nach hinten, und es schien, als würde er ganz von dem Tisch fallen. Doch gerade noch rechtzeitig konnte er sich abfangen, dann richtete er sich mühsam wieder auf, den Karton hielt er hinter dem Rücken. Währenddessen stieg der bärtige Hoteldiener, der jetzt mitklatschte und fröhlich lächelte, von vielen Händen unterstützt von dem Tisch herunter.
    Der drahtige Hoteldiener vollführte annähernd die gleichen Bewegungsabläufe, wenn auch mit weit mehr drolligen Gebärden. Er löste schallendes Gelächter aus, als er komische Fratzen schnitt und in bester Slapstick-Manier herumstolperte. Während ich ihm zusah, schienen das rhythmische Klatschen, die Zigeunergeigen, das Gelächter und das gespielt-überraschte Geschrei nicht nur meine Ohren, sondern all meine Sinne zu erfüllen. Als dann ein dritter Hoteldiener den drahtigen Mann auf dem Tisch ablöste, spürte ich, daß eine menschliche Wärme mich einzuhüllen begann. Gustavs Ansichten kamen mir plötzlich außerordentlich

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