Die Ungetroesteten
sie alle unordentlich in die Ecken des Tabletts geschoben worden, damit der Ehrenplatz für ein großes, arg mitgenommenes Buch frei war. Ich beugte mich vor, um es eingehend zu betrachten.
»Das ist ein sehr nützliches Handbuch«, sagte die Frau in Uniform eifrig. »Ich kann es guten Gewissens empfehlen. Ich sollte es eigentlich hier nicht so zum Verkauf anbieten. Aber der Geschäftsführer hat nichts dagegen, wenn wir ab und zu auch mal etwas privat verkaufen, solange es nicht zu oft vorkommt.«
Auf dem Schutzumschlag befand sich die Fotografie eines lächelnden Mannes im Overall, der auf einer Trittleiter stand, einen Malerpinsel in der Hand und eine Tapetenrolle im Arm hielt. Als ich das Buch hochnahm, merkte ich, wie der Einband allmählich auseinanderfiel.
»Also, eigentlich hat es meinem ältesten Sohn gehört«, fuhr die Frau in Uniform fort. »Aber er ist jetzt erwachsen und nach Schweden gegangen. Ich habe letzte Woche endlich einmal alle seine Sachen durchgesehen. Aus Sentimentalität habe ich alles aufgehoben, was für mich einen Erinnerungswert hatte, den Rest habe ich weggeworfen. Aber es waren auch ein paar Sachen dabei, die in keine von den beiden Kategorien zu passen schienen. Dieses alte Handbuch zum Beispiel, ich kann nicht gerade behaupten, daß es einen großen Erinnerungswert hat, aber es ist so ein nützliches Buch, man lernt, wie man allerlei Dinge im Haus selber macht, Anstreichen und Tapezieren, Fliesen legen, es wird einem alles Schritt für Schritt gezeigt, in ganz deutlichen Abbildungen. Ich weiß noch, mein Sohn hat es sehr nützlich gefunden, als er noch ein Junge war. Gut, es ist ein bißchen ramponiert inzwischen, aber es ist wirklich ein ganz besonders nützliches Buch. Ich verlange auch gar nicht viel dafür.«
»Vielleicht würde sich Boris darüber freuen«, sagte ich zu Sophie, während ich das Buch durchblätterte.
»Oh, wenn Sie einen Jungen haben in dem Alter wie meiner damals, dann ist das wirklich ideal. Ich spreche aus eigener Erfahrung, glauben Sie mir. Unser Junge hat sehr davon profitiert damals. Anstreichen, Fliesen legen, damit lernen Sie alles.«
Die Lichter gingen allmählich aus, und mir fiel ein, daß wir immer noch keinen Platz hatten.
»Na schön, vielen Dank«, sagte ich.
Die Frau dankte mir überschwenglich, als ich ihr das Geld gab, und mit dem Buch und dem Eis gingen wir weg.
»Wie lieb von dir, so an Boris zu denken«, sagte Sophie, während wir den schmalen Gang hinaufgingen. Dann hob sie raschelnd ihr Paket wieder hoch und preßte es an sich.
»Merkwürdig, sich vorzustellen, daß Papa den ganzen letzten Winter ohne ordentlichen Wintermantel herumgelaufen ist«, sagte sie. »Aber er war eben einfach zu stolz, seinen alten zu tragen. Es war ja recht mild im vorigen Jahr, also ist es nicht so schlimm gewesen. Aber noch einen Winter kann er nicht so herumlaufen.«
»Nein, das sollte er wirklich nicht.«
»Ich sehe das ganz unsentimental. Ich weiß, daß Papa jetzt allmählich alt wird. Ich habe mir das alles schon überlegt. Wie es wird, wenn er in Rente geht, zum Beispiel. Er wird allmählich alt, und damit müssen wir uns abfinden.« Dann fügte sie leise hinzu: »Ich werde ihm den Mantel in ein paar Wochen geben. Das ist dann noch früh genug.«
Inzwischen war es immer dunkler geworden, und die Zuschauer in ihrer Vorfreude saßen schon ganz still da. Mir fiel auf, daß der Saal jetzt noch voller war als vorher, und ich fragte mich, ob wir nicht vielleicht zu lange damit gewartet hatten, uns Plätze zu suchen. Aber als sich die Dunkelheit über uns senkte, kam ein Platzanweiser mit einer Taschenlampe den Gang hinunter und wies auf zwei Sitze ganz vorn. Sophie und ich drängten uns in der Reihe an den Leuten entlang, murmelten Entschuldigungen und setzten uns gerade in dem Augenblick, als die Werbung begann.
Die meisten Spots warben für Firmen am Ort, und die ganze Werbung schien sich endlos hinzuziehen. Als der Hauptfilm endlich anfing, saßen wir schon seit mindestens einer halben Stunde auf unseren Plätzen, und ich stellte mit einiger Erleichterung fest, daß es sich um den Science-fiction-Klassiker 2001: Odyssee im Weltraum handelte – einen meiner Lieblingsfilme, den ich immer wieder sehen konnte. Sobald diese packenden Anfangsbilder einer prähistorischen Welt über die Leinwand liefen, spürte ich, wie ich mich entspannte, und bald schon war ich angenehm gefesselt von dem Film. Wir befanden uns gerade in dem Mittelteil der Geschichte
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