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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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»Na schön. Wegen Boris will ich sehen, was ich tun kann. Aber ich kann nur noch einmal sagen, daß es für einen Außenstehenden wie mich...«
    Vielleicht war es die Erwähnung seines Namens, in diesem Augenblick jedenfalls fuhr Boris aufgeschreckt hoch.
    »Großvater!« rief er, und indem er mich losließ, lief er aufgeregt auf Gustav zu und wollte ihn offensichtlich umarmen. Doch im letzten Moment schien er sich eines Besseren zu besinnen und streckte ihm statt dessen die Hand hin.
    »Guten Abend, Großvater«, sagte er ruhig und würdevoll.
    »Guten Abend, Boris.« Gustav tätschelte ihm sanft den Kopf. »Wie schön, dich zu sehen. Wie war denn dein Tag heute?«
    Boris zuckte lässig mit den Schultern. »Ein bißchen ermüdend. Ein ganz normaler Tag.«
    »Einen kleinen Augenblick noch«, sagte Gustav, »und dann kümmere ich mich um alles.«
    Der Hoteldiener hatte den Arm immer noch um seinen Enkel gelegt, und so gingen sie zusammen zur Rezeption. Eine Weile lang wechselten er und der Angestellte dann einige leise Sätze im Hoteljargon. Dann nickten sie beide zum Zeichen, daß sie sich einig waren, und der Angestellte reichte einen Schlüssel herüber.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen«, sagte Gustav. »Dann zeige ich Ihnen, wo wir Boris unterbringen werden.«
    »Also, eigentlich habe ich noch eine Verabredung.«
    »Um diese Zeit? Sie haben ja wirklich ein sehr hektisches Leben. Nun ja, darf ich in dem Fall vorschlagen, daß ich Boris selbst hinaufbringe und ihm sein Zimmer zeige?«
    »Das ist eine ausgezeichnete Idee. Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«
    Ich ging mit ihnen bis zum Aufzug und winkte noch ein letztes Mal, als sich die Aufzugtür hinter ihnen schloß. Dann überkamen mich auf einmal mit aller Gewalt die ganze Enttäuschung und der ganze Ärger, die ich bis dahin im Zaum hatte halten können, und ohne noch ein Wort mit dem Hotelangestellten zu wechseln, ging ich durch die Halle und hinaus in die Nacht.

ACHT
    Die Straße war menschenleer und ruhig. Ich brauchte eine Weile, um – ein Stück weiter weg auf der anderen Straßenseite – den steinernen Bogengang zu entdecken, den Sophie am Telefon erwähnt hatte. Während ich hinüberging, fragte ich mich einen Augenblick lang, ob sie wohl die Nerven verloren hatte und geflüchtet war. Aber dann sah ich ihre Gestalt aus der Dunkelheit auftauchen und spürte, wie die Wut wieder in mir hochstieg.
    Sie sah nicht so sanft und demütig aus, wie ich erwartet hatte. Sie beobachtete mich aufmerksam, und als ich bei ihr war, sagte sie beinahe ruhig:
    »Du hast alles Recht der Welt, wütend zu sein. Ich weiß wirklich nicht, wie das passieren konnte. Ich nehme an, ich war etwas verwirrt. Ich weiß, du hast alles Recht der Welt, wütend zu sein.«
    Ich schaute sie unbekümmert an. »Wütend? Ach ja, ich verstehe. Du meinst dein Benehmen von vorhin. Na ja, ich muß schon sagen, wegen Boris war ich wirklich sehr enttäuscht. Ganz offensichtlich hat er sich sehr aufgeregt. Aber was mich betrifft, sage ich dir ganz ehrlich, daß ich mir weiter keine Gedanken darum gemacht habe. Ich habe im Moment so viel anderes im Kopf.«
    »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Ich weiß, wie sehr du auf mich angewiesen warst...«
    »Ich war nie auf dich angewiesen. Ich finde, du solltest dich jetzt ein bißchen beruhigen.« Ich lachte kurz auf und fing dann an, langsam weiterzugehen. »Was mich betrifft, für mich ist das Ganze wirklich keine große Affäre. Ich bin immer durchaus in der Lage gewesen, die anstehenden Fragen zu erledigen, ob du mir nun geholfen hast oder nicht. Ich bin einfach nur wegen Boris enttäuscht, das ist alles.«
    »Ich habe mich wirklich sehr blöd benommen, das sehe ich ja ein.« Sophie ging jetzt neben mir her. »Ich weiß nicht, ich nehme an, ich habe gedacht, daß Boris und du – du mußt es einmal von meinem Standpunkt aus sehen -, daß ihr zurückgeblieben seid, und ich habe gedacht, ihr seid vielleicht gar nicht so versessen gewesen auf das, was ich für den Abend geplant hatte, und ich nahm an, du wolltest dich sowieso absetzen... Schau, wenn du willst, erkläre ich dir alles. Alles, was du wissen willst. Jede Einzelheit...«.
    Ich blieb stehen und drehte mich zu ihr um. »Offensichtlich habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Das alles interessiert mich überhaupt nicht. Ich bin nur herausgekommen, weil ich ein bißchen frische Luft schnappen und etwas abschalten wollte. Es ist wirklich ein schwerer Tag gewesen. Eigentlich bin ich

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