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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kazuo Ishiguro
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bist.«
    »Weshalb sollte ich denn wütend sein?« flüsterte ich und schaute mich im Foyer um.
    Knapp vor uns gingen die Leute, die als letzte in der Schlange gestanden hatten, in den Kinosaal hinein. Ich schaute mich um, weil ich sehen wollte, wo ich die Karten kaufen könnte, aber die Kasse war geschlossen, und mir fiel ein, es könnte eine besondere Vereinbarung zwischen dem Hotel und dem Kino bestehen. Auf jeden Fall stellten Sophie und ich uns ans Ende der Reihe, ein Mann in einem grünen Anzug, der am Eingang stand, lächelte und ließ uns zusammen mit all den anderen hinein.
    Es war praktisch ausverkauft. Die Lichter waren noch nicht ausgegangen, und viele Leute gingen noch herum, um ihre Plätze zu finden. Ich suchte nach Plätzen für uns, als Sophie mir aufgeregt in den Arm kniff.
    »Komm, wir kaufen uns irgendwas«, sagte sie. »Eis oder Popcorn oder irgendwas anderes.«
    Sie deutete in den vorderen Teil des Kinos, wo sich vor einer Frau in Uniform, die ein Tablett mit Süßigkeiten trug, eine kleine Schlange gebildet hatte.
    »Natürlich«, sagte ich. »Aber wir sollten uns lieber beeilen, sonst sind alle Plätze besetzt. Es ist sehr voll hier.«
    Wir bahnten uns unseren Weg nach vorne und stellten uns an. Nachdem ich eine Weile so dagestanden hatte, spürte ich, daß die Wut wieder in mir hochstieg, bis ich mich schließlich ganz von Sophie wegdrehen mußte. Dann hörte ich sie hinter mir sagen:
    »Ich will ganz ehrlich sein. Ich bin heute abend gar nicht wirklich zum Hotel gekommen, um dich zu sehen. Ich wußte nicht einmal, daß ihr zwei dort auftauchen würdet.«
    »Ach ja?« Ich beugte mich vor und schaute auf die Süßigkeiten.
    »Nachdem das passiert war«, fuhr Sophie fort, »das heißt, als ich begriffen hatte, wie blöd ich mich benommen hatte, na ja, da wußte ich nicht, was ich tun sollte. Dann fiel es mir plötzlich wieder ein. Die Sache mit Papas Wintermantel. Mir fiel ein, daß ich ihm den Mantel immer noch nicht zurückgegeben hatte.«
    Da war ein raschelndes Geräusch. Ich drehte mich um, und da erst merkte ich, daß Sophie in der einen Hand ein großes unförmiges Paket in braunem Papier trug. Sie hob es hoch in die Luft, aber es war offensichtlich recht schwer, und so nahm sie den Arm bald wieder herunter.
    »Es war einfach dumm von mir«, sagte sie. »Ich hätte mir überhaupt keine Sorgen machen müssen. Aber weißt du, ich hatte auf einmal so ein Gefühl, als läge der Winter in der Luft. Und mir fiel das mit dem Mantel wieder ein, und ich wollte einfach nicht mehr länger warten, ich mußte ihn zurückbringen. Also habe ich ihn eingepackt und bin hergekommen. Aber dann war ich beim Hotel, und der Abend war so mild. Ich sah ein, daß ich mir ganz umsonst Sorgen gemacht hatte, und ich wußte nicht, ob ich hineingehen und ihm den Mantel heute abend noch geben sollte. Also stand ich da, und es wurde später und immer später, und schließlich wurde mir klar, daß Papa wohl schon im Bett sein würde. Ich dachte daran, den Mantel für ihn an der Rezeption abzugeben, aber dann wollte ich ihn doch lieber persönlich überbringen. Und da habe ich dann gedacht, na ja, ich könnte ihn in ein paar Wochen immer noch abgeben, es ist ja noch so mild. Da ist dann das Auto vorgefahren, und du bist mit Boris ausgestiegen. So war das in Wirklichkeit.«
    »Aha.«
    »Ich weiß nicht, ob ich sonst den Mut gehabt hätte, dir gegenüberzutreten. Aber da stand ich nun, direkt auf der anderen Straßenseite, also habe ich tief durchgeatmet und habe angerufen.«
    »Tja, ich bin froh, daß du das getan hast.« Ich deutete auf unsere Umgebung. »Schließlich ist es schon eine Ewigkeit her, daß wir so zusammen ins Kino gegangen sind.«
    Sie antwortete nicht, und als ich mich umsah, schaute sie voller Zärtlichkeit auf das Paket hinunter. Sie tätschelte es mit der freien Hand.
    »Das Wetter wird sich jetzt noch eine Weile halten«, murmelte sie, zu dem Mantel so gut wie zu mir. »Also kein Grund zu solcher Eile. Wir können ihm den Mantel in ein paar Wochen noch geben.«
    Wir standen jetzt ganz vorn in der Reihe, und Sophie trat vor mich, um neugierig auf das Tablett zu schauen, das die Frau in Uniform uns hinhielt.
    »Was nimmst du denn?« fragte sie. »Ich glaube, ich nehme einen Eisbecher. Nein, ein Eis am Stiel mit Schokoglasur. Eines von diesen.«
    Ich schaute über ihre Schulter hinweg auf das Tablett und sah, daß darauf all die üblichen Eissorten und Schokoriegel lagen. Doch merkwürdigerweise waren

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