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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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fuhr offenbar doch nicht allein.
    Zwei Männer kamen aus dem Raucherwagen, und unser Gespräch fand ein jähes Ende. An der nächsten Station wurde ich hinausbefördert. Ich schaffte es nicht einmal, die Skier mitzunehmen, nur die Stöcke. Besserud. Ich war auf Besserud gelandet. Das war eine abgekartete Sache. Das war wie ausgemacht. Ich drehte mich nicht nach der Hecke und dem Haus um. Vielleicht stand es ja gar nicht mehr dort, und warum hätte ich mich dann umdrehen sollen? War es das, was Lund mit dem Rückschrittsalter meinte, von siebzig bis fünfundsiebzig, bevor das Greisenalter die Lebenszeit beendet? Man wendet sich rückwärts, weil man keine anderen Orte mehr hat, an die man gehen könnte, ob man nun will oder nicht. Man kommt nicht drum herum. Ich ging nach Hause, spuckte hier und da, und wenn ich hinfiel und mir jemand aufhelfen wollte, stach ich denjenigen mit den Stöcken in die Waden. Eins, zwei, tröiedüs! Ich brachte mich in Sicherheit. Seitdem bin ich nicht mehr draußen gewesen. Ich bekomme die Lebensmittel an die Tür gebracht. Die Rechnungen sind bezahlt. Die Post ist abbestellt. Zeitungen lese ich nicht. Ansonsten habe ich alles, was ich brauche.
    Es ist September.
    Hier werde ich aufhören.
    Morgen ist der Tag, an dem ich achtzig Jahre alt werde.
    Ich werde diesen neumodischen Gerichtsmedizinern etwas geben, an dem sie sich die Zähne ausbeißen können. Vielleicht wird ja auch so viel Zeit vergehen, bis ich gefunden werde, dass ich schon mumifiziert bin. Der Gedanke ist mir gekommen. Trotzdem ein sonderbarer Fund, wenn sie mich früher oder später finden: Ich habe bereits das Gewicht in der Uhr gelöst, zusammen mit dem Draht, an dem es befestigt ist. Es ist nicht schwer, aber schwer genug. Viel braucht es nicht. Einen Moment lang wurde es so still, dass ich mein eigenes Herz in den Fingerspitzen pochen hörte. Ich werde die schwarzen Drops in einem Glas Cognac auflösen, mir den Frack anziehen, während die Drops sich auflösen, das Glas langsam leeren und es gründlich auswaschen. Ich werde wahrscheinlich einen leichten Schwips haben, vom Branntwein, nicht von den Drops, und das ist ja nicht unangenehm. Vielleicht mache ich einige Tanzschritte oder einen Purzelbaum rückwärts zu diesem Anlass. Dieser Leichtsinn wird so oder so in eine tiefere Erfahrung übergehen, wenn das Gift anfängt zu wirken. Dann muss ich schnell sein. Ich werde mich in mein Arbeitszimmer setzen, mir den Draht aus der Uhr zweimal um den Hals wickeln, nicht fester, als dass ich immer noch im Vollbesitz meiner Sinne bin, aber stramm genug, dass die Betreffenden eine kräftige Strangulationsfurche notieren werden, die auf der Vorderseite des Halses, zwischen larynx und Zungenbein beginnt. Aber mein Gesicht wird nicht zyanotisch sein. Wird ihnen das auffallen? Was sie jedenfalls nicht übersehen können, das ist das Gewicht, das auf dem Tisch vor mir liegt. Sie werden sich am Kopf kratzen und mit witzigen Kommentaren nicht sparen, ein zynischer Jargon, den sie aus den Kinosälen haben: Ein Clown von einem Kadaver! Vielleicht ist er ja Uhrmacher? In dem Falle geht er falsch. Gelächter, viel Gelächter. Die Uhr ist übrigens um neunzehn Minuten nach elf stehen geblieben, vormittags, ein passender Zeitpunkt. Wie die nächsten Sekunden sein werden, weiß ich nicht, auch nicht, in welchem Zustand ich sein werde. Ich werde auch nie mehr im Stande sein, das zu beschreiben. Ich bin auf Schmerzen vorbereitet. Schmerzen bekümmern mich nicht. Ich bin auf nichts vorbereitet. Ich habe keine Angst. Doch zuvor, vor all diesem umständlichen Handwerk, will ich ganz einfach noch einmal ans Fenster treten, auf den Skovveien hinaussehen, die Welt nach bestem Wissen zum letzten Mal genießen, die nassen Bürgersteige, das Laub in der Luft, die grauen Vögel, die herabstürzen, ich werde dem Regen lauschen, den ich so mag, und zählen, wie viele schwarze Regenschirme ich entdecken kann.
    Gesagt, getan.
    8. 9. 1980

POST FESTUM II
    Bei allen Fotzenhöllen des Teufels! Ich lebe. Das wünsche ich meinem schlimmsten Feind nicht, wer immer das auch sein mag. Ich bin aufgewacht und lebe! Das hätte nicht passieren dürfen. Nein, das hätte es nicht. Es verlief ganz und gar nicht nach Plan. Ich lag auf dem Boden in dem engen Arbeitszimmer und schleppte das Gewicht um den Hals mit mir, meine Hände waren gebunden und gefesselt, außerdem hatte ich hämmernde Kopfschmerzen. Nein, das war wirklich eine Enttäuschung. Ich machte mich los, kroch

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