Die unsicherste aller Tageszeiten
Kurzem da. Dort heiße ich ›Stossgebete‹.« Und noch einmal vollführte er – er steckte noch immer in mir drin, wenn auch inzwischen merklich abgeschwollen – ein paar weitere Hüftschwünge. Mit endlich erlahmendem Enthusiasmus, bildete ich mir ein.
»Nein«, sagte ich und: »Hör mal, ich muss jetzt los. Ich fahre morgen weg …«
»Oh. Na ja, macht nichts. Aber wenn du mal bei Gayromeo bist, dann besuche mich mal auf meinem Profil. ›Stossgebete‹, mit doppeltem ›s‹ und nicht mit ›ß‹, okay?«
»›Stossgebete‹ mit doppeltem ›s‹ und nicht mit ›ß‹, okay!«, wiederholte ich und ließ ihn aus mir rausflutschen, um endlich meine Hose hochziehen zu können.
Ich lief davon. Beinahe hätte ich sogar noch meine Jacke vergessen, holte sie, sprang ins nächste Taxi und ließ mich nach Hause kutschieren. Als Erstes warf ich meinen Computer an, ging auf die Gayromeo-Seite und löschte mein Profil. Natürlich hatte ich eins, das war neuerdings der letzte Schrei, ich besorgte mir regelmäßig Dates darüber. Allerdings zeigten die Bilder alles von meinem nackten Körper in voll erigiertem Zustand, nur mein Gesicht sparten sie aus, es hätte also eigentlich kein Grund zur Panik bestanden, der Typ würde mich darauf nicht wiedererkennen können, niemals. Reine Vorsichtsmaßnahme, redete ich mir ein. Allein meine Nerven wollten sich nicht beruhigen, das war einfach zu viel. Erst die Trennung und dann dieser widerliche Absturz mit dem hässlichen Typen – der sich dann zu allem Überfluss auch noch von früher her an mich erinnerte, auch wenn ich mich an ihn absolut nicht mehr erinnern konnte. Wenigstens an diesem Punkt hatte ich mal nicht gelogen. Ich duschte und fühlte mich nicht besser, sauberer. Ich ging zu Bett und versuchte zu schlafen, doch meine Träume erwiesen sich als Ausgeburten des fiesesten Verfolgungswahns. Dass ich mich an nichts erinnern konnte, an ihn ja sowieso nicht, aber auch an die von ihm erwähnte Nacht – davon hat es in meinem Leben einfach schon zu viele gegeben –, ließ die Gedanken an letzte Nacht nur umso schwerer wiegen. Vollkommen paranoid saß ich allzu früh wieder am Frühstückstisch und bekam keinen Bissen runter, und wenn ich an die Stadt draußen dachte, in der trübes Morgenlicht den ewigen Nachtdämmer abgelöst hatte, hätte ich beinahe würgen müssen. Wie viele böse Überraschungen hielt dieser Höllenschlund wohl noch für mich bereit? Was würde ich noch alles ertragen müssen? Ich konnte nichts mehr ertragen, ich hatte genug! Ich musste hier raus, sonst würde ich untergehen. Und es gab nur einen Ausweg: Klaus’ Haus auf Föhr. Sofort und ohne weitere Verzögerung.
Und so machte ich mich auf und davon, in der Hoffnung, alle Übel der Welt, von denen ich doch ebenfalls eins war, hinter mir lassen zu können.
In den knapp zwei Stunden, die es mit dem Zug von Berlin nach Hamburg braucht, läuft dieser miese Pornofilm wieder und wieder vor meinem geistigen Auge ab. Ich kann mich einfach nicht dagegen wehren, ihn nicht abschalten. Was hab ich getan? Was hab ich getan!, hallt es kläglich in meinem leeren Kopf wider. Dabei ist nicht der Umstand, dass ich mich am Ende doch wieder hatte hinreißen lassen, das Schlimme, was mir so zusetzt, sondern einmal mehr die Umstände, wie ich mich hingegeben hatte. So rücksichtslos, so schwanzgesteuert, so selbstzerstörerisch. Genau das hatte ich vermeiden wollen, ich hätte zumindest ein Mindestmaß an Vorsicht walten lassen müssen, wie ich es mir immer wieder vornehme, und habe doch total versagt. Zusammen mit ihm zwar, aber das macht die Sache nicht besser, entschuldigt nichts. Hätte ich dem ›Herrn Stossgebete‹ mit doppeltem ›s‹ und nicht mit ›ß‹ mein Gayromeo-Profil gezeigt, er hätte gesehen, dass da in dem Feld ›Safer Sex‹ ein grundsätzliches ›Immer‹ gestanden hätte. Kein falsches, weil auf etwas so Illusionärem wie Gottvertrauen Gründendes, ›Nach Absprache‹ und natürlich erst recht kein ausdrückliches ›Niemals‹ und auch nicht dieses hochnotpeinliche und alberne ›Keine Angabe‹, nein, da hatte dieses scheinbar unantastbare ›Immer‹ gestanden – eine Lüge. Und das bin ich auch: Ich bin ein Lügner, ein Lügner, dessen größte Angst es ist, bei einer Lüge erwischt zu werden.
Plötzlich fährt es mir wie ein glühender Spieß ins Gedärm, als hätten sich von einer Sekunde auf die andere sämtliche inneren Organe in kochende Säure verwandelt. Ich springe, noch
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