Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)
Einstein. Eisenberger. Engel. Fischer. Goldman. Goldner. Goldstein. Hart. Hauszmann. Heller. Hirsch. Honig. Horovitz. Idesz. János. Jáskiseri. Kemény. Kepecs. Kertész. Klein. Kovacs. Langer. Lázár. Lindenfeld. Markovitz. Martón. Nussbaum. Óscai. Paley. Pollák. Róna. Rosenthal. Roth. Rubiczek. Rubin. Schoenfeld. Sebestyen. Sebök. Steiner. Szanto. Toronyi. Ungar. Vadas. Vámos. Vertes. Vida. Weisz. Wolf. Zeller. Zindler. Zucker. Ein Alphabet des Verlusts, ein Katalog der Trauer. Fast jedes Mal, wenn sie hingingen, erlebten sie, dass jemand vom Tod eines geliebten Menschen erfuhr. Manchmal wurde die Nachricht schweigend aufgenommen, der einzige Hinweis ein Innehalten der Augen oder ein Zittern der Hände, die den Hut umklammerten. Dann wiederum gab es Schreie, ungläubigen Protest, Weinen. Tag um Tag sahen sie nach, jeden Tag, so lange, dass sie fast schon vergaßen, wonach sie suchten; nach einer Weile kam es ihnen vor, als würden sie einfach nur nachschauen und sich einen neuen Kaddisch einprägen, der lediglich aus Namen bestand.
Dann, an einem Nachmittag Anfang August – acht Stunden vor dem Flug der Enola Gay über Hiroshima und acht Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs –, überflogen sie die Listen der Toten, als Klaras Hand zu ihrem Mund fuhr und ihre Schultern nach vorn sackten. Im ersten Moment fragte sich Andras, wen Klara noch zu verlieren habe; ihm kam nicht in den Sinn, dass ihre Reaktion etwas mit ihm zu tun haben könne. Doch unbewusst musste er gespürt haben, was gerade geschah. Denn als er auf die Liste schaute, stellte er fest, dass er die Namen nur verschwommen sehen konnte, ein feuchter Film auf seinen Augen.
Zitternd hielt Klara seinen Arm fest. »Oh, Andras«, sagte sie. »Tibor. Oh, Gott.«
Er löste sich von ihr, wollte nicht verstehen. Er blickte wieder auf die Liste, doch sie ergab keinen Sinn. Die anderen machten bereits einen Schritt nach hinten, gaben ihnen respektvoll Raum, so wie sie es immer taten, wenn jemand einen Toten fand. Andras trat vor und berührte die Liste an der Stelle, wo K zu L wechselte. Katz, Adolf. Kovály, Sarah. László, Béla. Lebowitz, Kati. Lévi, Tibor.
Es konnte nicht sein Tibor sein. Andras sagte es laut: Das ist er nicht. Das ist jemand anders. Das ist nicht unser Tibor. Nicht unser Tibor. Ein Fehler. Er drängte sich durch die Menschentraube vor der Liste zur Synagogentür, die Treppe hoch zur Verwaltung, wo es eine Erklärung geben würde. Er schüchterte die Frau am Schreibtisch ein, indem er brüllte, er wolle mit dem Verantwortlichen sprechen. Sie brachte ihn in ein Vorzimmer, wo man ihn unglaublicherweise warten ließ. Dort fand ihn Klara; ihre Augen waren rot, und er dachte: Lächerlich. Nicht unser Tibor . Und im Büro des Verantwortlichen saß er in einem alten Ledersessel, während der Mann durch Manilaumschläge blätterte. Dann reichte er einen an Andras weiter, der mit dem Namen Lévi beschriftet war. Der Umschlag enthielt eine kurze maschinengeschriebene Nachricht und ein metallenes Erkennungsmarkenmedaillon mit verdrehter Spange. Als Andras das Medaillon öffnete, stellte er fest, dass die Angaben unversehrt waren: Tibors Name, sein Geburtsort und -datum, seine Größe, seine Augenfarbe und sein Gewicht, der Name seines Befehlshabers, seine Heimatadresse, seine Munkaszolgálat-Nummer. Eure Hundemarken kommen vielleicht zurück nach Hause, aber ihr niemals. Die kurze maschinengeschriebene Nachricht besagte, dass die Marke an Tibors Leichnam in einem Massengrab bei Hidegség in der Nähe der österreichischen Grenze gefunden worden war.
An jenem Abend schloss Andras sich im Schlafzimmer der neuen Wohnung ein, die er mit Klara, Polaner und den Kindern teilte. Er setzte sich auf den Boden, weinte laut, schlug mit dem Kopf gegen die kühlen roten Fliesen. Er würde diesen Raum nie mehr verlassen, beschloss er; er würde hier bleiben, bis er ein alter Mann war, sollte doch die Erde um ihn herum durch die Jahre brennen.
Irgendwann in der Nacht kamen Klara und Polaner herein und halfen ihm ins Bett. Wie durch einen Nebel bekam er mit, dass Klara sein Hemd aufknöpfte, Polaner ihm die Arme in ein neues schob; wie durch einen Schleier sah er, dass Klara ihr Gesicht im Becken wusch und zu ihm ins Bett kam. Ihre Arme um seine Brust waren etwas Warmes, Lebendiges, und er lag tot dazwischen. Er schaffte es nicht, sie zu berühren, konnte auf nichts reagieren, was sie sagte. Entkräftet, erschöpft, aber wach lag er da und lauschte, wie
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