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Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition)

Titel: Die unsichtbare Brücke: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Orringer
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Soldaten, die Schutt auf die Ladefläche eines Lkws luden. Ihr Anführer, ein hochdekorierter Offizier, hielt Klara und Polaner an und verlangte lautstark etwas auf Russisch. Sie wussten, dass er ihre Papiere sehen wollte, aber Polaners Ausweis würde ihm nur eine Verhaftung oder Erschießung einbringen; er antwortete auf Ungarisch, dass Klara seine Frau sei und sie die Kinder nach Hause brächten. Lange Zeit betrachtete der Offizier die ausgezehrten, hohläugigen Menschen und spähte auf die schweigenden Kinder in den Wagen. Schließlich griff er in seine Manteltasche und holte die Fotografie einer rundgesichtigen Frau mit einem rundgesichtigen Kind hervor, das auf ihrem Knie saß. Während Klara das Bild betrachtete, ging der Soldat zum Führerhaus des Lkws und nahm einen Rucksack aus Segeltuch heraus. Er kniete sich hin und zog eine pralle Papiertüte hervor, die aussah, als enthalte sie Steinchen, dann griff er hinein und holte eine Handvoll verhutzelter Haselnüsse heraus. Die reichte er Klara. Eine zweite Handvoll Haselnüsse ging an Polaner.
    Mit diesen zwei Handvoll ernährte Klara beide Kinder eine Woche lang.
    Da sie nirgends anders hingehen konnten, gingen sie ins Getto, das einen Tag zuvor von den Russen befreit worden war. Dort entdeckten sie am Tor der Großen Synagoge an der Dohány utca Kleins Großmutter mit dem übrig gebliebenen Zicklein, das sie durch die Belagerung gerettet hatte. Kleins Großvater, dieser winzige Mann mit den hellen Augen und den abstehenden Haarflügeln, war in der ersten Januarwoche an einem Schlaganfall gestorben. Er war in den Hof der Synagoge gebracht worden, wo Hunderte toter Juden darauf warteten, beerdigt zu werden.
    Was ist mit meiner Mutter, hatte Klara gefragt. Was ist mit meiner Schwägerin?
    Und mit derselben von Trauer erschütterten Stimme hatte Kleins Großmutter die Nachricht überbracht, dass Elza Hász und Klaras Mutter im Hof eines Gebäudes auf der Wesselényi utca erschossen worden seien, zusammen mit vierzig anderen. Sie sprach die Worte gesenkten Blicks und streichelte dabei dem letzten überlebenden Zicklein über den Kopf, dem Rest der städtischen Herde, die das Leben von dreißig Frauen und Kindern am Szabadság tér gerettet hatte.
    Im Hof der Synagoge am Bethlen Gábor tér, wo sich die Überlebenden der Konzentrationslager bei ihrer Rückkehr melden sollten, flehten diejenigen, die in Budapest geblieben waren, die Heimkehrer um Nachrichten von denen an, die noch vermisst wurden. Fast jeden Tag bis zu Andras’ Rückkehr war Klara zur Synagoge gegangen. Obwohl sie die Antworten auf ihre Fragen fürchtete, hatte sie sich immer wieder erkundigt. Eines Tages traf sie einen Mann, der mit ihrem Bruder in einem deutschen Lager gewesen war; sie hatten zusammen in einer Waffenfabrik gearbeitet. Dieser Mann ging mit Klara ins Heiligtum der Synagoge, wo er sich mit ihr in eine Bank setzte, ihre Hände in seine nahm und ihr sagte, ihr Bruder sei tot. Er sei zusammen mit fünfundzwanzig anderen an Silvester erschossen worden.
    Eine Woche lang saß Klara im Haus auf der Frangepán köz Schiwa für ihn; soweit sie wusste, war sie das einzige noch lebende Mitglied ihrer Familie. Dann ging sie wieder zur Synagoge, hoffte auf Nachricht von Andras. Stattdessen erfuhr sie etwas, das sie ihm nun sagen musste. Eine Frau aus Debrecen war zum Bethlen Gábor tér gekommen, um nach ihren Kindern zu suchen. Kurz zuvor war diese Frau selbst in einem Lager gewesen, sie kam aus Oświeçim in Polen. Dort hatte sie Andras’ Eltern auf einem Eisenbahndamm gesehen, bevor sie selbst einer Gruppe zugewiesen wurde, die noch gesund genug zum Arbeiten war. Von der anderen Gruppe, den Alten, Kranken und ganz Jungen, hatte niemand mehr etwas gesehen oder gehört.
    Als Klara diese Nachricht überbrachte, begann Andras in stillem Kummer zu erbeben. József setzte sich in hohläugigem Entsetzen neben ihn. An einem einzigen Tag waren sie beide in diesem seltsamen kleinen Haus voller Fotografien toter Menschen zu Waisen geworden.
    Monatelang nach Andras’ Heimkehr gingen sie täglich zur Synagoge am Bethlen Gábor tér. Überall in Österreich und Deutschland, in Galizien und in Jugoslawien wurden ungarische Juden exhumiert und, wann immer möglich, durch ihren Ausweis oder ihre Erkennungsmarke identifiziert. Es waren Tausende. Jeden Tag erschienen an der Mauer vor dem Gebäude endlose Namenslisten. Abraham. Almasy. Arany. Banki. Böhm. Braun. Breuer. Budai. Csato. Czitrom. Dániel. Diamant.

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