Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
Vom Netzwerk:
als Zündpapier verwendet? Ich suchte mir ein paar Nummern von Rolling Stone heraus, strich über das Papier, musste lächeln. Mein Vater. Es stimmte, er konnte nicht mehr auf mich achtgeben, mich nicht mehr beschützen, doch der Gedanke an ihn, das Anfassen der Hefte, die ihm so viel bedeutet hatten, in denen er so oft gelesen, deren Seiten er so oft umgeblättert hatte, lenkten mich ab von meiner Verfolgungsangst, nahmen mir meine Panik.
    Half a million strong. Ein Artikel über Woodstock. Ein Schwarzweißfoto, eine riesige Menge junger Menschen, auf dem Erdboden sitzend, liegend, in Jeans, T-Shirts, mit entblößten Oberkörpern. »It was Sunday afternoon, Joe Cocker and the Grease Band had finished their powerhouse set, and suddenly the sky turned black and everyone knew it was going to rain again. It did.« So schrieb jemand namens Greil Marcus. Der Name kam mir bekannt vor. The Madness and Majesty of Pink Floyd. The ugly truths and bitter rivalries behind rock’s most visionary band. John Lennon, nackt und in Embryo-Stellung auf der schwarzen Yoko Ono liegend, ihre Wange küssend, ihren Kopf mit seinem linken Arm einrahmend. January 22, 1981. Ein Foto von Kurt Cobain. Cobain’s death affected fans so deeply that fourteen copycat suicides ensued that year. »›I’ve been relieved of so much pressure in the last year and a half‹, Kurt Cobain says with discernible relief in his voice. ›I’m still kind of mesmerized by it.‹«
    Ich war todmüde. Gleich würde ich aufstehen, mir mit dem heißen Wasser im Topf auf dem Ofen einen Tee kochen, ihn trinken und mich dann auf die Suche nach warmer Kleidung und solidem Schuhwerk machen. Die Hitze, die der Ofen mittlerweile ausstrahlte, betäubte mich. Gleich würde ich dieses Haus, dieses Dorf verlassen und nach Wien zurückkehren. In eine Stadt, die nicht meine Heimat war, die ich nicht liebte, nicht einmal mochte, die mir wenig bedeutete, an der ich nicht hing, die aber immerhin die Stadt war, in der ich lebte. Eine Art von Zuhause. Wann die Zeitschriften von meinem Schoß glitten, weiß ich nicht mehr. Wann ich eingeschlafen bin, auch nicht.
    »Hallo, Prinzessin«, sagte jemand, lachte leise und berührte mich leicht an der Schulter. Es war in einem Traum. Ich träumte. Langsam, langsam tauchte ich aus meinem Dahindämmern auf, öffnete die Augen halb, hob den Kopf ein wenig, mit Mühe, Millimeter um Millimeter, wie mir schien. Stefan stand schräg vor mir und blickte auf mich herab. Er hatte eine schwarze Tasche in der Hand, eine Art Sporttasche. Ja, es war wie in einem dieser Träume, in denen man gelähmt ist oder sich nur mit größter Anstrengung bewegen kann. In einer Welt aus Watte. Nur – ich war aufgewacht. Ich entsann mich, dass ich die Tür zugesperrt und den Riegel vorgeschoben hatte.
    »Wie bist du hereingekommen?«, fragte ich. Es erstaunte mich, dass ich sprechen konnte.
    »Durch das Fenster im ersten Stock.«
    Mir fiel ein, dass neben dem Schnittholz, das an der Rückseite des Hauses aufgeschichtet war, immer eine Leiter stand. Vielleicht war ein Fenster einen Spaltbreit offen gestanden?
    »Wie hast du mich gefunden? Ich habe dir nie von der Mühle erzählt.«
    Seine Antwort interessierte mich tatsächlich. Der Gedanke zu fliehen kam mir nicht, ich hatte nicht einmal das Bedürfnis aufzustehen. Es war so wohlig warm in diesem Zimmer, vor dem Ofen.
    »Du unterschätzt mich«, sagte Stefan. »Ich bin dir nachgefahren, in angemessenem Abstand natürlich. Es war kein großes Problem, das geparkte Auto zu finden.« Er lächelte nachsichtig. »Und die Mühle? Ich lebe hier, Sissi, ich praktiziere als Arzt, ich spreche mit den Leuten, erfahre vieles. Hast du tatsächlich gedacht, ich würde dich hier nicht finden?«
    »Was willst du?«, fragte ich weiter. Obwohl ich die Antwort kannte. Seit wann, war mir nicht ganz klar.
    »Dich töten«, sagte er in sanftem Ton. Er hatte es ausgesprochen, die Worte klangen banal. »Aber das weißt du doch, Prinzessin, das weißt du längst. Und du müsstest auch wissen, dass ich nicht erst heute auf diesen Gedanken gekommen bin.« Er blickte mich teilnahmsvoll an. »Wie könnte ich dich leben lassen? Auch wenn die Vorstellung, dich umzubringen, entsetzlich für mich ist.« Er kniete sich vor mich hin, blickte traurig zu mir hoch. »Weshalb konntest du deine Neugier nicht bezähmen? Weshalb konntest du die alten Zeiten nicht auf sich beruhen lassen? Ich bin wirklich in dich verliebt, Prinzessin, hast du das nicht

Weitere Kostenlose Bücher