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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Faschinger
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einen Besuch oder hatte sich ihrem Mann im Wirtshaus angeschlossen. Erneut ergriffen Unruhe und Anspannung von mir Besitz, eine Art unbestimmtes Grauen, das klares Denken verhinderte. Eine Serie von ungeordneten Bildern und Gedanken ohne Zusammenhang zog in gesteigertem Tempo durch meinen Kopf. Ein Film in hoch beschleunigtem Zeitraffer. Mein Hirn suchte nach Möglichkeiten, Auswegen. Zuletzt sah ich meinen Vater vor mir, in dessen Gegenwart ich mich trotz seiner labilen und eigenwilligen Wesensart, seiner psychischen Schwierigkeiten und seiner Alkoholprobleme immer beschützt und geborgen gefühlt hatte.
    Die Mühle. Sein Erbe. Mein Erbe. Dort würde ich in Sicherheit sein.
    Ich war nie mit Stefan in der Mühle gewesen, war mir ziemlich sicher, dass ich sie ihm gegenüber nicht einmal erwähnt hatte, konnte mir nicht vorstellen, dass er wusste, wo sie sich befand. Die Stelle war entlegen, schwer zu finden. Der große eiserne Schlüssel lag im Handschuhfach meines Wagens.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag brach ich vom Haus der Großeltern in Richtung Mühle auf. Ich parkte den Polo am Waldrand, an einer Stelle, wo er nicht leicht zu sehen war, und betrat den Pfad, der in den Wald führte. Diesmal war der Weg hinunter in den Graben wesentlich beschwerlicher, da meine Schuhe mit den Absätzen und den dünnen Ledersohlen für das Gehen auf dem schneebedeckten, immer steiler werdenden Steig nicht geeignet waren. Ich glitt mehrmals aus, fiel hin, schürfte mir erst das Knie, dann den rechten Handballen auf. Meine Füße waren eiskalt, nach einer Weile spürte ich sie kaum noch. Da ich nicht vorgehabt hatte, mich im Freien aufzuhalten, trug ich keinen Mantel, nur eine Jacke aus Baumwolle, in der ich schrecklich fror. Ich hoffte, dass es in der Mühle noch warm sein würde. Mir wurde bewusst, dass ich mich auch auf diesem anstrengenden Fußweg fortwährend umsah. Als folge mir jemand. Ich hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Stefan würde mich doch nicht verfolgen! Die Fenster im Haus des Forstgehilfen waren nicht erleuchtet. Ich erschrak, als zwei Krähen einen Meter von mir entfernt mit lautem Gekrächze aufflogen. Ich fühlte mich sehr allein.
    Nachdem ich erschöpft vor der Mühle angekommen war, sperrte ich die Tür auf, schlug sie nach meinem Eintreten sofort wieder zu und drehte den Schlüssel im Schloss, so lange er sich drehen ließ, bevor ich auch noch den Riegel vorschob, der innen an der Tür angebracht war. Im Zimmer war es tatsächlich noch warm, durch das Sichtfenster des Kaminofens sah ich die glosenden Holzreste auf dem Rost. Ich öffnete die Feuertür und legte Anzündholz aus einem Weidenkorb auf die Glut. Dann ließ ich Leitungswasser aus dem Wasserhahn des Abwaschbeckens in einen Topf rinnen und stellte das Gefäß auf die Kochplatte oben auf dem Heizkörper. Ich nahm zwei dicke runde Buchenscheite von dem kleinen Stoß Brennholz neben dem Ofen und schob sie über das Anzündholz in den Feuerraum. Danach zog ich meine Schuhe aus, schob den alten Lehnsessel näher zum Ofen hin, wickelte mich in die abgenutzte graubraune Wolldecke, die darauf lag und an der ich noch den Geruch meines Vaters wahrzunehmen glaubte, setzte mich in den Stuhl und streckte die Beine aus, sodass die Wärme, die das Gusseisen des Ofens abstrahlte, meine Füße erreichen konnte.
    Mein Denken wurde ruhiger, sachlicher. Dass ich hierhergekommen war, war unüberlegt gewesen, ich hatte kopflos gehandelt. Es gab keinen plausiblen Grund für meine Paranoia. Und wenn es einen gab, war es vernünftiger, unter Menschen zu gehen. Mich an einen so abgeschiedenen Ort zu begeben, machte meine Lage nur noch schlimmer. Mein Vater war tot, er konnte mir nicht mehr helfen, mich nicht mehr behüten. Ich würde mich in der Mühle ausruhen und aufwärmen, einen Parka und ein Paar feste Schuhe suchen, die hier sicher zu finden waren, den Weg durch den Wald zurückgehen und nach Wien aufbrechen. Es war logisch, das einzig Sinnvolle, das ich in meiner Situation tun konnte.
    Vor dem Holzstoß türmte sich auf dem Fußboden ein windschiefer Stapel von Zeitschriften. Ich beugte mich hinunter, berührte sie. Es waren alte, zerlesene Fachzeitschriften über Motorräder und über Rockmusik. Bikers News. Spex. Mojo. Motorrad. Spin. Rolling Stone. Jede Menge Exemplare von Rolling Stone. Mehr als die Hälfte der Blätter der obersten Zeitschrift waren herausgerissen. Womöglich hatten meine Großmutter und meine Tanten die heiligen Schriften meines Vaters

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