Die Vampirverschwoerung
in dem
das Hochzeitsfoto ihrer Eltern lag. Dann blieb Olivias Blick an einem kleinen schwarzen Notizbuch hängen, das aufgeklappt mit den Seiten nach unten neben dem Karton lag. In goldener Schrift war eine Jahreszahl auf den Buchdeckel geprägt.
Das Jahr, in dem wir geboren sind, stellte Olivia erschrocken fest.
Sie hob das Buch auf, drehte es um und sah dicht gedrängte Zeilen einer schmalen, eleganten Handschrift. Der erste Eintrag war kurz nach ihrem und Lucys Geburtstag entstanden. Olivia begann zu lesen.
Ich fühle mich, als wäre ich ohne den Schutz eines Sarges begraben, in der Dunkelheit gefangen, ohne Hoffnung, jemals das Licht wiederzusehen. Susannah war mein Sonnenschein. Und es ist mein Fehler, allein mein Fehler, dass ihr wunderschönes Licht nicht länger auf dieser Erde erstrahlt.
Was soll das heiÃen, es ist sein Fehler?, fragte sich Olivia. Weiter unten entdeckte sie ihren Namen.
Seit der Nacht, in der sie geboren sind â unsere Töchter Olivia und Lucy â, sehe ich Susannahs Schönheit in ihren Gesichtern. Aber was, wenn sie genauso verdammt sind wie unsere Liebe? Ich weià jetzt, dass es einen Grund gibt hinter dem Irrsinn der alten Legenden über die monströsen Folgen, die es hat, wenn ein Mensch und ein Vampir sich lieben.
Mit zitternden Fingern blätterte Olivia um.
Susannah ist gestorben, als sie unsere Töchter auf die Welt gebracht hat. Ihr menschlicher Körper kam nicht mit dem Vampirbaby zurecht, das in ihrem Körper heranwuchs. Olivia und Lucy sind keine Monster. Sie sind Engel.
Das Monster bin ich. Ich habe bewusst die alten Traditionen missachtet und Susannah hat die Konsequenzen zu spüren bekommen.
Das Ãbel, das ich angerichtet habe, kann ich nicht rückgängig machen. Aber ich schwöre, dass ich meine Töchter mit derselben grenzenlosen Liebe aufziehen werde, die Susannah mir entgegengebracht hat. Meine Seele werde ich wohl nicht retten können, aber ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um die Mädchen zu retten.
Olivia lieà das Buch sinken und schloss die Augen. Sie brauchte einen Moment, um zu verdauen, was sie da gerade gelesen hatte. Unsere Mutter ist nicht bei einem Unfall gestorben, wie es in dem Nachruf aus Andover hieÃ, wurde ihr bewusst. Sie ist bei unserer Geburt gestorben. Und unser Vater gibt sich dafür die Schuld. Es war jedoch klar, dass er Lucy und Olivia ursprünglich nicht voneinander hatte trennen wollen. Er hatte vorgehabt, sie gemeinsam aufzuziehen. Was war also passiert?
Olivia blätterte schnell das Tagebuch durch. Es ging viel darum, wie es war, ein Menschen- und ein Vampirbaby gemeinsam aufzuziehen  â »Olivia hat heute versucht, aus Lucys Flasche zu trinken, und ich habe
mich zu Tode erschreckt.« Und alle paar Absätze gab es wieder eine Bemerkung über ihre Mutter und deren Tod. Die Schuldgefühle ihres Vaters schienen immer schlimmer geworden zu sein.
SchlieÃlich kam Olivia zum letzten Eintrag, der einen Tag vor ihrem ersten Geburtstag entstanden war. Sie holte tief Luft.
Ein Jahr lang habe ich mich selbst betrogen. Ich glaubte, Olivia und Lucy sicher gemeinsam aufziehen zu können. Ihre Mutter starb, weil sich ein Mensch und ein Vampir zusammengetan haben â könnte es einen deutlicheren Beweis für die Schrecken geben, die sie erwarten, wenn sie zusammenbleiben? Und doch habe ich sie gezwungen, als verwandte Seelen zu leben, gegen jede Vernunft, gegen die Natur, weil ich Trost in meinem Kummer suchte.
Vor allem um Olivia habe ich Angst. Selbst wenn sie bei mir ohne Zwischenfälle aufwachsen könnte, ist es einfach unmöglich, das Blutgeheimnis vor ihr zu bewahren. Sie wird unter Vampiren leben. Eines Tages wird sie vielleicht heiraten wollen. Sie wird meine Warnungen, sich nicht mit Vampiren einzulassen, in den Wind schlagen, genau wie ich die Warnungen meiner Eltern in den Wind geschlagen habe. Und was, wenn sie Kinder haben möchte?
Ich schwöre bei Susannahs Grab, dass ich denselben Fehler nicht zweimal machen werde. Ich muss Olivia aufgeben, damit sie in einer Menschenfamilie aufwachsen kann. Ich liebe sie mehr, als mein Herz er tragen kann. Meine Seele wehrt sich lautstark dagegen, sie wegzugeben, aber
ich werde nicht zulassen, dass mein Egoismus sie in Gefahr bringt. Nicht noch einmal.
Eine Träne tropfte auf die Seite, und Olivia stellte fest, dass sie weinte. Sie lieà das Tagebuch sinken
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