Zombieparade: Storys (German Edition)
Vorwort
Die Zombies kamen zu mir. Ich habe ganz gewiss nicht nach ihnen gesucht. Es muss irgendwann 1985 gewesen sein, als ich zwischen zwölf und dreizehn Jahren alt war. Meine Eltern hatten gerade etwas bestellt, das man »Kabelfernsehen« nannte, und die Gerüchteküche auf dem Schulhof wollte wissen, dass diese neue Erfindung manchmal richtige Frauen zeigte, die bereit waren, ohne ersichtlichen Grund die Bluse auszuziehen! Jedes Mal, wenn meine Eltern zum Essen ausgingen, stahl ich mich in ihr Schlafzimmer. Mit der Geduld eines buddhistischen Mönchs setzte ich mich vor den Bildschirm. Ich wartete, ich hoffte, ich betete, und dann, eines Nachts, passierte es. Da war eine richtige, lebendige Frau – und vollkommen nackt! Sie schritt durch ein tropisches Dorf, während die Eingeborenen um sie herum tanzten. Mit dem Gehirn eines pubertierenden Heranwachsenden versuchte ich zu begreifen, was meine Augen mir da zeigten, und dachte nur: »Mein Leben hat sich gerade für immer verändert.«
Ich hatte ja keine Ahnung, wie richtig ich damit lag.
Sie kamen schlurfend und stöhnend aus der Dunkelheit … und plötzlich war die Party zu Ende.
Von dem Moment an sind meine Erinnerungen verschwommen. Sie bestehen überwiegend aus bruchstückhaften Albtraumbildern von schreienden Menschen, die gepackt, zerfetzt und aufgefressen werden. Ich erinnere mich an ein kleines Tier (eine Katze?), das vom Leichnam einer alten Frau springt. Ich erinnere mich an einen aschfahlen Kadaver mit getrocknetem Blut an den Lippen. Ich erinnere mich an einen Staatschef, der um Hilfe bittet, während die anderen UN-Delegierten endlos über Lösungen debattieren. Doch am deutlichsten erinnere ich mich an SIE. Hirnlos, langsam, durch und durch unmenschlich. Sie erinnerten mich an einen Film, den ich kurz zuvor gesehen hatte, einen Film über einen riesigen Hai, den einer der Darsteller als »Fressmaschine« bezeichnete. Sie erinnerten mich an einen Film über einen Killer-Cyborg, der »weder Gnade noch Mitleid noch Angst kennt und niemals aufgibt, unter gar keinen Umständen!« Sie erinnerten mich an eine ausgesprochen echte Seuche, die sich in der Welt meiner Eltern ausbreitete und ihre Freunde scharenweise tötete. Sie waren der
schlimmste Albtraum, den ich mir vorstellen konnte. Sie waren Zombies.
Der Film, den ich an diesem Abend gesehen habe, trägt den Titel Night of the Zombies , und ich bin zu 99,9 Prozent sicher, dass die Filmemacher Bilder von echtem Kannibalismus in ihre Tour de Force hineingeschnitten haben. Ob das stimmt oder nicht, jede Einstellung brannte sich in mein jugendliches Gehirn ein. Jahrelang verfolgten mich diese unmenschlichen und, wie ich dachte, unbesiegbaren Monster. Die Menschen in den Filmen schienen machtlos zu sein gegen die gefräßigen Angreifer. Würde dasselbe nicht auch für mich gelten? Das war das Schicksal, mit dem ich mich abgefunden hatte … bis er kam!
Sein Name lautet George A. Romero, und sein Film trägt den Titel Night of the Living Dead . Ich muss siebzehn oder achtzehn gewesen sein, als ich ihn sah, jetzt in meinem Zimmer mit meinem eigenen Kabelanschluss, aber, da bin ich sicher, nicht weniger an Frauen ohne Blusen interessiert als zu Beginn meiner Pubertät. Ich dachte, ich hätte die Zombie-Albträume hinter mir gelassen, und jetzt waren sie wieder da! Die Fleischfresser waren zurück und ebenso heißhungrig wie ihre italienischen Vettern. Und wie früher reagierte ich entsetzt auf
das Gemetzel und konnte mich doch, genau wie damals, nicht davon abwenden.
Doch dann ging mir auf, dass es in diesem Film etwas gab, das den billigen, nihilistischen Blutorgien aus Europa vollkommen fehlte. In diesem Film gab es HOFFNUNG! Plötzlich gab es Regeln, konkrete Grenzen, die die Stärken und Schwächen der Angreifer festlegten. Sie waren weder so klug, so stark noch so schnell wie wir. Das Wichtigste jedoch war, man konnte sie aufhalten! Eine Kugel ins Gehirn, mehr war nicht erforderlich! Und da ging mir ein Licht auf. Nicht das Grauen vor den Zombies, sondern unser Unvermögen, mit ihnen fertig zu werden, stellte das Problem dar! Ich wäre da gewiss ganz anders. Ich würde die richtigen Entscheidungen treffen. Ich würde meine Hausaufgaben machen. Ich würde nicht vor Dummheit oder Angst kapitulieren. Wenn sie mich holen würden, würde ich tun, was immer erforderlich wäre, um zu überleben!
Eine Lebensspanne später, als sich die Welt auf die scheinbar unvermeidliche, mit dem Kürzel »Y2K«
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