Die verborgene Botschaft: Roman (German Edition)
Dunkelheit vom Weg abzukommen, war groß, und der Bote dachte unbehaglich an die vielen vor ihm liegenden Stunden bis zur nächsten befestigten Stadt. Kurz vor den Hügeln zügelte er abrupt sein Pferd. Vier oder fünf Reiter lösten sich aus der Schwärze und blockierten den Weg. Panik stieg in ihm auf.
»Wer seid ihr?«, rief er den Reitern mit zitternder Stimme entgegen.
»Hat dir der Wein den Kopf vernebelt, oder warum erkennst du mich nicht?«, erwiderte einer der Männer und hielt mit seinem Pferd direkt auf ihn zu.
»Meister Zhao«, stieß der Bote erleichtert aus. »Ihr habt mir einen Schreck eingejagt.«
»Warum? Hast du mich für einen Geist gehalten?«
»Nein«, antwortete er beschämt. »Aber ich bin allein, und es treibt sich allerlei Gesindel in dieser Gegend herum. Ich bin froh, Euch zu treffen.«
»Meine Freude ist noch wesentlich größer«, bemerkte Zhao Shan trocken. Der Bote hörte die gesichtslosen Reiter, die jetzt unbeweglich auf dem schmalen Pfad zwischen zwei Felsbrocken verharrten, leise lachen. Seine Unruhe nahm zu. Die Reiter boten ihm Schutz, und doch jagten sie ihm Angst ein.
Zhao Shan beachtete die Männer im Hintergrund nicht und sprach weiter: »Es war ein amüsanter Abend, junger Freund, aber lass dir einen Rat geben: Du solltest nicht trinken, es bekommt dir nicht.«
»Aber …«
Zhao Shan unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Es ist sogar unverantwortlich. Der Wein hat dich gesprächig gemacht. Zu gesprächig, wie du noch erkennen wirst. Ich persönlich bin allerdings sehr glücklich über deine aufschlussreichen Informationen.« Er nahm seinen langen, dünnen Bart zwischen zwei Finger und strich sachte darüber. Sein Lächeln war plötzlich nicht mehr wohlwollend, sondern feindlich und hart. »Gib mir die Schachtel!«, befahl er.
Die Worte trafen den Boten wie ein Schlag. Entsetzt sah er Zhao Shan an, dessen Gesichtszüge in dem schwindenden Licht kaum noch auszumachen waren.
»Wovon sprecht Ihr?«, fragte er schwach.
»Von der kaiserlichen Botschaft natürlich, die du General Li Guangli überbringen sollst.«
Der Bote war fassungslos. Er konnte sich nicht erinnern, dem Hohen Sekretär von dem kleinen Kästchen in dem Beutel unter seinem Hemd erzählt zu haben. Eine Ahnung, die sich schon am Abend zuvor leise in ihm geregt hatte, wurde zur Gewissheit.
»Ihr habt mich betrunken gemacht! Ich wollte keinen Wein, und doch habt Ihr darauf bestanden, dass ich trinke.«
»Ich habe dich nicht gezwungen.«
»Ihr wusstet von meinem Auftrag. Woher?«
»Das braucht dich nicht zu interessieren. Also, das Kästchen«, sagte Zhao Shan ungeduldig.
Endlich begriff der Bote: Seine Zusammentreffen mit Meister Zhao waren kein Zufall, weder am vergangenen Abend noch jetzt. Der Hohe Sekretär hatte es von Anfang an auf die kaiserliche Nachricht abgesehen. Wahrscheinlich war er ihm seit Chang’an gefolgt und hatte auf eine günstige Gelegenheit für einen Hinterhalt gewartet. Zhao Shan hatte ihm den Wein eingeflößt, um ihn von den anderen Reisenden zu trennen. Er war in eine Falle gelaufen. Zorn stieg in ihm auf. Mit dem Mut der Verzweiflung richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und schrie:
»Wagt es nicht, mich aufzuhalten! Vergesst nicht, ich bin im Auftrag des Kaisers unterwegs!«
»Wie könnte ich das vergessen?«
»Der Zorn des Kaisers wird fürchterlich sein. Eure Familie wird hingerichtet, Euer Name ausgelöscht!«
»Es gibt Wichtigeres als die Familie oder einen Namen. Oder selbst den Kaiser.«
»Was sollte das sein?«, fragte der Bote verblüfft.
»China, junger Freund. Es ist nicht zu übersehen, dass die Götter dem Kaiser das Mandat des Himmels entziehen.«
»Wer seid Ihr, dass Ihr Euch anmaßt, die Zeichen des Himmels zu deuten?«
»Ein Mann, der sich nicht von den Erfolgen des Kaisers blenden lässt, sondern den Preis sieht, den das Reich für seine Taten zahlt. Es sollte dich nicht überraschen, dass es viele Männer gibt, die so denken wie ich. Und wenn du die Augen öffnest, wirst du verstehen, was ich meine.«
»Was hat das mit der Botschaft für den General zu tun?«
»Wenn sie das enthält, was ich vermute, darf sie den General auf keinen Fall erreichen.«
»Ich werde sie Euch niemals freiwillig geben, und wenn ich mit meinem Leben bezahlen muss!«
»Du bist ein pflichtbewusster Mann, aber du hast keine Chance. Verteidige dich und stirb in Ehren. Du hast dir nichts vorzuwerfen.«
Mit diesen Worten trieb Zhao Shan sein Pferd an und ritt in
Weitere Kostenlose Bücher