Die verborgene Wirklichkeit
ein Jahrhundert lang war das ein großartiger, fruchtbarer Ansatz. Anfang des neunzehnten Jahrhunderts jedoch setzte der britische Wissenschaftler Michael Faraday ein Umdenken in Gang: Er entwickelte den schwer fassbaren, aber nachweislich höchst nützlichen Begriff des Feldes .
Nehmen wir einen starken Magneten von der Magnettafel und halten wir ihn ein paar Zentimeter über eine Büroklammer. Was dann geschieht, weiß jeder: Die Büroklammer springt in die Höhe und bleibt an der Oberfläche des Magneten kleben. Diese Vorführung ist so alltäglich, so ganz und gar vertraut, dass man leicht übersieht, was für ein bizarrer Vorgang das ist. Ohne die Büroklammer zu berühren, sorgt der Magnet dafür, dass sie sich bewegt. Wie ist das möglich? Wie kann ohne jeden Kontakt ein Einfluss ausgeübt werden? Diese und eine Fülle ähnlicher Überlegungen veranlassten Faraday zu seinem Postulat: Der Magnet selbst berührt die Büroklammer zwar nicht, er erzeugt aber etwas, das sie berührt. Dieses Etwas bezeichnete Faraday als Magnetfeld .
Die Felder, die von Magneten erzeugt werden, können wir nicht sehen und nicht hören; keines unserer Sinnesorgane ist auf sie abgestimmt. Aber daran zeigen sich lediglich unsere physiologischen Beschränkungen, mehr nicht. Ähnlich wie eine Flamme Wärme erzeugt, erzeugt ein Magnet ein magnetisches Feld. Das Magnetfeld reicht über den Magneten selbst in den Raum hinaus und ist
damit eine Art »Nebel« oder eine »Essenz«, die den Raum erfüllt und nach der Pfeife des Magneten tanzt.
Magnetfelder sind nur eine Form von Feldern. Andere werden von geladenen Teilchen erzeugt: elektrische Felder, die beispielsweise dafür verantwortlich sind, dass wir manchmal einen elektrischen Schlag bekommen, wenn wir in einem Zimmer mit einem Teppichboden aus Wolle einen Metalltürknauf anfassen. Faradays Experimente führten zu der unerwarteten Erkenntnis, dass elektrische und magnetische Felder eng zusammenhängen: Wie er feststellte, erzeugt ein zeitlich veränderliches elektrisches Feld ein Magnetfeld, und umgekehrt. Ende des neunzehnten Jahrhunderts lieferte James Clerk Maxwell eine mathematische Begründung für solche Befunde: Er beschrieb elektrische und magnetische Felder mithilfe von Zahlen, die jedem Punkt im Raum zugeordnet werden; in den Zahlenwerten spiegelt sich die Fähigkeit des Feldes wider, an dem betreffenden Ort im Raum einen Einfluss auszuüben. An Orten im Raum, an denen die Zahlenwerte des Magnetfeldes so groß sind wie beispielsweise im Hohlraum eines Kernspintomographen, spüren Gegenstände aus Metall einen starken Zug oder Druck. An Orten im Raum, an denen die Zahlenwerte eines elektrischen Feldes groß sind wie beispielsweise im Inneren einer Gewitterwolke, können kräftige elektrische Entladungen stattfinden.
Maxwell entdeckte einen Satz von Gleichungen, die heute seinen Namen tragen. Sie sagen etwas darüber aus, wie die Stärke elektrischer und magnetischer Felder sich von einem Punkt im Raum zum anderen und von einem Zeitpunkt zum anderen unterscheiden. Genau die gleichen Gleichungen gelten für das Meer der selbstständig oszillierenden elektrischen und magnetischen Felder, der sogenannten elektromagnetischen Wellen , von denen wir alle umgeben sind. Wenn wir ein Handy, ein Radio oder einen drahtlos vernetzten Computer einschalten, stellen die von diesen Geräten empfangenen Signale einen winzigen Anteil aus dem Dickicht der elektromagnetischen Übertragungen dar, die in aller Stille in jeder Sekunde an uns vorüber- und durch uns hindurchlaufen. Und was am verblüffendsten ist: Maxwells Gleichungen zeigen, dass auch sichtbares Licht eine elektromagnetische Welle ist, und zwar eine, für die wir im Laufe der Evolution ein geeignetes Sinnesorgan entwickelt haben: Unsere Augen können diese Sorte elektromagnetischer Wellen direkt wahrnehmen.
In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts vereinigten Physiker das Konzept der Felder mit ihrem wachsenden Kenntnisstand über die Welt des Allerkleinsten, der sich in der Quantenmechanik verkörpert. Das Ergebnis, Quantenfeldtheorie genannt, bildet einen mathematischen Rahmen für die derzeit am weitesten entwickelten Theorien über Materie und Naturkräfte. Von diesen
Theorien geleitet, konnten Physiker nachweisen, dass es neben elektrischen und magnetischen Feldern noch eine ganze Reihe weiterer gibt; sie tragen Namen wie starke und schwache Kernfelder sowie Elektronen -, Quark - und Neutrinofelder . Ein Feld, das
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