Die verbotene Pforte
locker. Kopfschüttelnd ließ sie Dopoulos’ Handgelenk schließlich los, angelte eine Flasche »Brennberger Schlangenspucke« vom Regal und goss drei Gläser ein. Eines davon schob sie Tobbs hin.
»Austrinken!«, befahl sie ihm. »Und du auch, Dopoulos. Und dann …«, sie wandte sich an den Wirt, »… ist es wirklich an der Zeit, dass du mit Tobbs einige Dinge klärst.«
Der Wirt wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und sah auf einmal sehr niedergeschlagen aus.
»Ich kann nicht. Ich habe ein Versprechen gegeben«, sagte er mit brüchiger Stimme.
»Ich weiß«, erwiderte Wanja etwas freundlicher. »Aber Menandros würde es verstehen, meinst du nicht? Und unser Tobbs ist nun mal kein kleiner Junge mehr. Wenn du ihm jetzt nicht die Wahrheit sagst, wird er wieder wegrennen und es selbst herausfinden. Und dann wird es vielleicht nicht so glimpflich ausgehen wie die letzten Male.«
Tobbs hatte das Gefühl, dass sein Magen aus einem einzigen Knoten bestand.
Hier war sie. Die Stunde der Wahrheit. Seit so vielen Jahren wartete er auf diesen Moment. Und das Verrückte war: Er war sich gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich gut war, diese Wahrheit zu erfahren. Er musste sich mehrmals räuspern, bis er endlich mit schwacher Stimme seine Frage herausbrachte: »Wer ist Menandros?«
Dopoulos wich seinem Blick aus. Er seufzte tief, kippte die Schlangenspucke in einem Zug hinunter und knallte das leere Glas auf die Tischplatte.
»Menandros A. Dopoulos«, murmelte er. »Mein jüngerer Bruder. Er … war dein Vater, Tobbs.«
In Tobbs’ Ohren begann es zu klingeln. Ich habe mich verhört, redete er sich ein, während er sein Glas so fassungslos anstarrte, als würden darin vier Spinnen Synchronschwimmen trainieren.
Zwei Worte in Dopoulos’ Antwort waren verkehrt. Das Wort ›Bruder‹. Und das Wort ›war‹.
Er fing mit dem weniger schlimmen Wort an. »Wenn er dein Bruder war, dann bist du … du bist mein …«
»Onkel«, bestätigte Wanja und nickte. »Ja, du bist Dopoulos’ Neffe.« Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu. »Der Sturkopf scheint in der Familie zu liegen.«
Tobbs musste schlucken, das Glas verschwamm vor seinen Augen. »Und wenn er dein Bruder war, dann ist er … tot?«
Das traurige Schweigen war Antwort genug. Nun leerte auch Tobbs das Glas in einem Zug. Es war nicht nur das scharfe Gebräu, das ihm die Tränen in die Augen trieb.
»Du hast es die ganze Zeit gewusst!«, brachte er nach einer Weile hervor. »Und mir kein Wort gesagt.«
»Weil ich es meinem Bruder vor seinem Tod versprochen habe«, erwiderte Dopoulos heftig. »Was hätte ich denn tun sollen? Und außerdem war es besser, dich nicht wissen zu lassen, wer du bist. Dann würdest du keine Dummheiten machen können.«
»Kann er doch, wie man sieht«, sagte Wanja trocken. »Ich hatte dich oft genug gewarnt, Dopoulos. Ich sagte: Tobbs ist ein schlauer Kerl, du wirst ihn nicht einsperren können.«
»Und meine Mutter?«, rief Tobbs.
Dopoulos seufzte. »Dass sie eine Kitsune ist, hast du ja schon herausgefunden. Weil sie einen Menschen liebte, muss sie sich auch vor ihren eigenen Leuten verbergen.«
»Die ganze Geschichte!«, sagte Tobbs nachdrücklich.
Dopoulos’ Schultern sackten nach unten, als würde er eine schwere Last tragen. »Wir reisten damals gemeinsam umher, Menandros und ich. Kandara war uns zu eng, wir suchten das Abenteuer. Wir fuhren über unzählige Meere und durch fremde Länder. Wir besiegten Untiere, stahlen goldene Äpfel und bändigten wilde Bestien. Tja, und dann bestand Menandros darauf, dass wir nach Doman reisten. Er hatte von der domanischen Musik gehört. Er mochte Musik und er tanzte gern. Sicher gibt es die Vergnügungsviertel in Katuro noch. Damals waren sie noch um ein Vielfaches prächtiger. Wir kamen gerade zur rechten Zeit. Immer mehr Tanukis drängten aus dem Norden heran und kundschafteten den magischen Wald aus. Es roch nach Krieg und Menandros und ich erklärten uns bereit, bei der Verteidigung der Stadt zu helfen, falls es nötig sein würde. Nun, in Katuro lernte Menandros eine junge Frau kennen. Yoko. Sie verliebten sich. Na ja, wie es eben so geht.« Er seufzte wieder und griff nach der Flasche, um sich nachzuschenken. »Er wusste nicht, dass Yoko eine Kitsune war. Und auch nicht, dass es den Kitsune bei Todesstrafe verboten ist, sich mit Menschen einzulassen. Mit ihnen leben? Ja! Sie lieben? Nein. Deine Mutter spielte mit ihrem Leben. Erst als du geboren wurdest und Menandros
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