Die verbotene Pforte
Echsenschwanzsalbe behandelt und dem Reiter eine nagelneue silberne Rippe eingesetzt. Eigenes Patent. Nehmt den Verband aber erst dann ab, wenn er den rechten Arm wieder mühelos anheben kann.«
Wanja schluckte schwer. Ihre Augen glänzten verdächtig. Noch nie hatte Tobbs die starke Schmiedin so ratlos und verstört erlebt. Es verunsicherte ihn mehr, als er je zugegeben hätte.
Der Wirt seufzte tief und strich sich über die Glatze – eine Geste, die er immer dann machte, wenn er Sorgen hatte. Große Sorgen.
»Äh … Tobbs, sei doch bitte so gut und sieh an der Frühstückstheke nach dem Rechten. Ich und Wanja, wir haben … etwas zu besprechen.«
»Warum kann ich nicht erfahren, was ihr zu besprechen habt? Schließlich bin ich es, der von dem Pony fast umgerannt wurde. Und außerdem habe ich langsam genug davon, dass ihr ständig irgendwelche Geheimnisse vor mir habt …«
Anguana zupfte ihn am Ärmel. »Komm mit«, sagte sie leise, aber nachdrücklich.
»Nein, komme ich nicht! Ich …«
»Da wir gerade beim Thema Geheimnisse sind«, unterbrach ihn Dopoulos. »Du verrätst mir sicher gerne, was du neuerdings nachts auf den Fluren zu suchen hast.«
Einen Augenblick sahen sie sich scharf an. Dann gab Tobbs sich geschlagen – fürs Erste – und ließ sich von Anguana aus dem Zimmer ziehen.
Aus dem großen Wirtsraum ertönten Melpomenes Stimme und begeisterter Applaus. Viel konnte Tobbs nicht verstehen, aber er hörte heraus, dass es um eine reichlich frisierte Fassung ihrer Suche nach dem Arzt ging. Glaubte man ihren Worten, hatte Melpomene unter Einsatz ihres Lebens gegen Sirenen, rasende Feuerreiter und tollwütige Adler gekämpft, um Dr. Dian hierherbringen zu können. Anguana drehte sich zu Tobbs um und rollte genervt die Augen.
»Die gibt vielleicht an!« Sie winkte Tobbs, ihr zur Tür am Ende des Flurs zu folgen. Sie führte in den Keller. Was wollte sie denn da? Aber Tobbs folgte ihr, ohne zu fragen. Eins hatte er in Yndalamor gelernt: Das Mädchen mit dem Ziegenfuß tat nichts ohne Sinn. Sie dachte eher wie eine Nixe: sehr direkt und ohne Umschweife. Und wenn sie ihn in den Keller lotste, hatte sie etwas ganz Bestimmtes vor.
Das Gewölbe des Kellers war einer kleinen Kirche nachempfunden. Und vielleicht hatte es früher auch als Kirche gedient. Die Taverne am Rand der Welten war ein erstaunliches Sammelsurium interessanter Räume und kleiner Schatzkammern aus den verschiedensten Ländern. Die Wasserrohre, die Dopoulos vor vielen Jahren aus Kandara geholt und hier verlegt hatte, waren inzwischen mit Kristallstaub überzogen. In einigen Ecken wuchsen Tropfsteine von der Decke und der kleine Raum, den Tobbs nun betrat, roch schwach nach süßem Wein und stark nach herbem Kräuterlikör. Zwanzig Fässer standen hier wie Sarkophage an der Wand aufgereiht. Leuchtalgen an den Wänden tauchten das gruftartige Gewölbe in grünes Licht. Anguana schimmerte wie eine Nixe aus einem Märchen. Hier wirkten ihre blauen Augen stechend türkis und ihr hellblondes Haar bekam einen Smaragdschimmer. Gerade tauchte sie ihre Hand in den gemauerten Hausbrunnen. Ringe breiteten sich dort aus, wo ihre Finger den Wasserspiegel berührten. Tobbs fröstelte und verschränkte die Arme.
»Und nun?«, flüsterte er.
Anguana grinste wie eine Diebin.
»Komm her! Oder willst du nicht wissen, was im Krankenzimmer gesprochen wird?«
Jetzt war Tobbs wirklich verblüfft. Dieses schüchterne Mädchen sah aus, als könnte es kein Wässerchen trüben, aber hinter der unschuldigen Stirn tickte ein Verstand, der einem Panzerknacker alle Ehre gemacht hätte.
Anguana deutete auf ein Metallrohr, das dicht über dem Brunnen verlief. »Durch dieses Rohr fließt das Wasser aus der Dalamit-Quelle zur Spirituosen-Brennkammer. Das Quellwasser hat ganz spezielle Eigenschaften – es leitet Schall besser als Luft. Allerdings immer nur in eine Richtung.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Das ist Nixenzauber. Die Quellnymphen aus meinen Bergen müssen ihre Nachrichten über große Entfernungen schicken.«
Flink kletterte sie auf den schmalen Brunnenrand und stellte sich auf die Zehenspitzen. Tobbs kam zögernd näher, während Anguana ein Ohr an das Metallrohr legte und angespannt lauschte.
Verstohlen warf er einen Blick in das unendlich tiefe Wasser des Brunnens. Sein Nacken kribbelte unbehaglich bei der Vorstellung, auf dem Brunnenrand auszurutschen und ins Wasser zu fallen. Schließlich konnte er nicht schwimmen.
»Hab ich mir doch
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