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Die verbotene Pforte

Die verbotene Pforte

Titel: Die verbotene Pforte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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die neue Tür mit einem zusätzlichen Spezialriegel aus gehärtetem Holz.
    Dopoulos hatte den Verletzten inzwischen so gut es ging in stabiler Seitenlage auf den Boden gebettet und ihm ein Kissen unter die Wange geschoben. »Wir müssen einen Arzt rufen«, bestimmte er. »Und ich frage dich besser nicht, was du mitten in der Nacht auf dem Flur zu suchen hattest, Tobbs.«
    Tobbs lief ein kleiner, heißer Schauer über den Rücken. Eine Ausrede würde ihm nichts nützen, aber ablenken konnte er Dopoulos vielleicht. »Hast du nicht gestern erzählt, dass Dr. Dian gerade deinen Vetter in den Buckligen Bergen besucht?«
    Der Wirt zog die Brauen hoch. »Gut mitgedacht, mein Junge!«, brummte er. »Das hätte ich völlig vergessen. Ich schicke gleich jemanden nach Kandara los, um den Doktor zu holen. Fach du inzwischen das Feuer im Ofen an und besorge Handtücher und Verbandszeug.«

DER BOTE
    Zwar lag die Taverne eine Wegstunde vom Taldorf entfernt, aber das Echo der Explosion hatte sich in den Schluchten und an den glatten Felswänden gebrochen und mehrere Dorfbewohner aus dem Schlaf geschreckt. Und auch in einigen Ländern hinter den Türen hatte man das Krachen vernommen. Noch bevor die Taverne im Morgengrauen für die ersten Gäste öffnete, ertönten schon die Klingeln aus Tobadil, Transtatanien und Lumenai. Bald darauf drängten sich einige Fenisleute, ein Werwolf in der Gestalt eines alten Mannes und Henni die Haselhexe an der Frühstückstheke. Und auch die Küchenhilfen, die jeden Morgen aus dem Dorf zur Arbeit kamen, waren an diesem Tag aus Neugier besonders früh in der Taverne aufgetaucht. Nun drückten sie sich so oft wie möglich an dem Nebenraum vorbei, der provisorisch zu einer Krankenstation umgebaut worden war. Schließlich schlug Wanja den Schaulustigen mit einem entschiedenen Ruck die Tür vor der Nase zu.
    Der Reiter war immer noch bewusstlos. Sorgfältig hatte ihm Wanja seinen Pelzmantel und zehn Schichten Wollstoff vom Leib geschnitten, ohne dabei Druck auf die Wunde auszuüben, in der immer noch der Pfeil steckte. Tobbs hatte noch nie erlebt, dass Wanja die Fassung verlor, doch als sie auf der Schulter des Verletzten ein kleines Brandzeichen entdeckte, wurde sie blass und begann zu zittern. »Der einbeinige Hahn!«, flüsterte sie. »Also doch! Dieser Mann ist ein Bote und deshalb konnte er auch die verriegelte Tür sprengen. Seht ihr das Zeichen? Meine Tante Baba Jaga hat ihn geschickt. Alle Mitarbeiter meiner Tante tragen das Zeichen, damit man sie erkennt, falls sie tot aufgefunden werden. Bestimmt ist ihr etwas zugestoßen!« Dopoulos und Tobbs hätten ihr gern widersprochen, aber Wanjas Vermutung klang leider sehr plausibel.
    Mittlerweile war die Wunde gereinigt, der Bote lag auf die Seite gebettet. Unheilvoll rot glänzte die Farbschicht des Pfeils, den Dopoulos nicht aus der Wunde gezogen hatte. Beunruhigt betrachtete Tobbs die geheimnisvollen Zeichen, die in den Schaft geritzt und mit Silber gefüllt worden waren. Noch nie hatte er solche Zeichen gesehen – sie sahen aus, als hätte irgendein Verrückter versucht, Galgenmännchen zu zeichnen.
    Wanja tigerte durch den Raum und trommelte pausenlos mit den Fingern auf Tische und Stuhllehnen. Sobald der Bote seufzte oder auch nur tiefer atmete, schoss sie zu seinem Lager, beugte sich über ihn und flüsterte ihm etwas zu. Doch eine Antwort auf ihre vielen Fragen bekam sie nicht. Als ein Harfensolo erklang – die Türklingel zum Land Kandara –, fuhr sie hoch.
    »Der Arzt, na endlich!«
    Tobbs erreichte die Tür nach Kandara zeitgleich mit Dopoulos, der bereits in seinem Schlüsselbund wühlte. Mit geübtem Griff fischte er den passenden Schlüssel heraus und schloss die Tür auf.
    Vor Tobbs öffnete sich eine Welt, in der gerade eine glühende Sommersonne hinter flachen, pinienbewachsenen Hügeln unterging. Im Gegenlicht sah er zwei majestätisch große Gestalten, die sich wie Scherenschnittfiguren vom orangeroten Himmel abhoben. Die linke Gestalt trug ein gewaltiges Hirschgeweih.
    »Dian! Willkommen!«, rief Dopoulos. »Schön, dass meine Cousine dich doch noch gefunden hat.«
    Die gehörnte Gestalt nickte würdevoll und trat über die Schwelle. Das Geweih stieß gegen den Türrahmen und brachte die Fellmütze des Doktors zum Rutschen. Im blassen Flurlicht verlor er die Aura von Würde und Größe und übrig blieb ein Mann mit sonnenverbranntem Gesicht, der aussah, als wäre er selbst beim Waschen eingegangen, während seine Kleidung die

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