Die Verfluchten
wurde
ihm klar, dass sie eine passende Stelle für ihr Nachtlager gesucht
hatte.
Mit einiger Verspätung raffte er sich immerhin zu einem angedeuteten Nicken auf, um auf Abu Duns Verkündigung zu antworten,
sagte aber nichts, sondern sah sich stattdessen müde um. Er war unendlich erleichtert über die Aussicht, endlich vom Rücken dieses
struppigen Monstrums herunterzukommen, aber er fragte sich dennoch, was diesen Ort von irgendeinem der zahllosen anderen unterschied, die sie im Verlauf der letzten Stunden passiert hatten.
Meruhe hatte ihre Drohung wahr gemacht und sie auf direktem
Wege in die Wüste geführt, einer Wüste allerdings, die sich vollkommen von der unterschied, in der sie sich das erste Mal getroffen
hatten. Sie bestand vorwiegend aus Stein, Felsen, klein gemahlenem
Geröll und schon wieder fast zu Sand zerriebenem Stein, über dem
die Luft vor Hitze flirrte. Er wusste nicht, wie tief sie bereits in diese
sich scheinbar bis ins Unendliche erstreckende Einöde eingedrungen
waren, geschweige denn, welche Route Meruhe von jetzt an zu wählen gedachte.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Abu Dun, als er auch nach
einer Weile noch keine Antwort erhalten hatte. Er grinste weiter breit
und unübersehbar schadenfroh, aber unter der fröhlichen Häme in
seinem Blick verbarg sich echte Sorge.
»Ja, sicher«, antwortete Andrej schleppend. »Ich habe mich nie
besser gefühlt.«
Abu Dun funkelte ihn an. Die Häme in seinem Blick war erloschen,
aber das Mitgefühl auch. »Bitte verzeiht, dass ich gefragt habe, Sahib«, sagte er schnippisch, rammte seinem Tier die Fersen in die Seiten und ritt schneller voraus. Andrej sah ihm kopfschüttelnd nach,
aber er verspürte auch einen kleinen Stich von Neid. Abu Dun bot
einen schon fast grotesken Anblick, wie er so auf dem Rücken des
Kamels saß und im Rhythmus seiner sonderbaren Schritte auf und ab
wippte, aber er beherrschte dieses Tier so meisterhaft, wie Andrej es
niemals können würde - und auch nicht wollte. Während der langen
Jahre, die er auf irgendeiner wild im Wasser tanzenden Nussschale
oder auch einem übers Meer jagenden Schiff verbracht hatte, hatte
sich Andrej an die Seekrankheit gewöhnt und schließlich geglaubt,
sie endgültig überwunden zu haben, und für normale Schiffe mochte
das vielleicht sogar stimmen. Aber ganz offensichtlich nicht für
Wüstenschiffe. Ganz besonders nicht für Wüstenschiffe.
Abu Dun verschwand hinter einem gewaltigen Felsblock, und das
Geräusch der weichen Kamelhufe brach fast unmittelbar danach ab.
Obwohl Andrej wusste, dass er es bereuen würde, spornte er auch
sein Tier zu einer schnelleren Gangart an und wäre beinahe in Abu
Duns Kamel hineingeritten. Der Nubier hatte unmittelbar hinter dem
Felsen angehalten und glitt bereits aus dem Sattel. Als er sah, mit
welcher Mühe Andrej sein Kamel gerade noch zum Stehen brachte,
schenkte er ihm nur einen verächtlichen Blick, wandte sich beleidigt
ab und stapfte davon.
Andrej rutschte irgendwie vom Rücken des Kamels, ohne dabei eine allzu komische Figur zu machen - jedenfalls hoffte er das -, trat
einen torkelnden Schritt zur Seite und lehnte sich erschöpft gegen
den Fels. Er war so heiß von der gespeicherten Sonnenhitze des Tages, dass es kaum zu ertragen war. Andrej biss die Zähne zusammen,
ertrug den Schmerz tapfer und genoss das Gefühl, dass sich endlich
nicht mehr alles unter ihm bewegte und dabei auch noch abwechselnd in alle Richtungen kippte.
Müde sah er sich um. Meruhes Reittier stand nur ein paar Schritte
entfernt, und sie selbst kniete vor einer winzigen Pfütze und schöpfte
sich mit beiden Händen Wasser ins Gesicht. Der Anblick erinnerte
Andrej wieder daran, wie müde er war, und sein Mund fühlte sich
schlagartig noch trockener und ausgedörrter an. Aber die Anstrengung, jetzt aufzustehen und zu der Quelle hinüberzugehen, erschien
ihm viel zu groß.
Erschöpft schloss er die Augen. Er war so müde wie seit einem
Jahrhundert nicht mehr, und in ihm war eine sonderbar erschreckende Leere. Als wäre etwas aus ihm herausgerissen worden, das eine
schmerzende Lücke hinterlassen hatte.
War es das vielleicht?
Konzentriert lauschte er in sich hinein. Der Vampyr war noch da,
aber er schien nur noch ein Schatten seines früheren Selbst zu sein.
Von der verheerenden Kraft des Raubtieres war nichts mehr geblieben. Anfangs hatte Andrej geglaubt, er sei tot, zerfetzt von der unsichtbaren Kralle, die nach ihm geschlagen und
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