Die Verfluchten
Faruk würde die beiden
Soldaten töten lassen, weil sie sie nicht aufgehalten hatten. Dass er
genau wissen musste, wie wenig sie das gekonnt hätten, änderte daran überhaupt nichts. Also spielte es keine Rolle, dass Meruhe sie nur
betäubt hatte. Die beiden Männer würden sterben, und es war ihre
Schuld.
Ein sonderbares Gefühl überkam Andrej. Alles begann auf schreckliche Weise aus dem Ruder zu laufen. Sie waren in dieses Land gekommen, um endlich ein wenig Frieden zu finden, und das genaue
Gegenteil war der Fall. Statt Frieden zu finden, hatten sie eine Blutspur in der Stadt hinterlassen, und etwas sagte ihm, dass es noch lange nicht vorbei war. Was war das nur, das ihnen folgte wie ein Fluch
und dafür sorgte, dass alles, was sie begannen, in einer Katastrophe
endete? Andrej fühlte sich wie ein Mann, der in warmen Sand gegriffen hatte und nicht verhindern konnte, dass er ihm durch die Finger
rann - ganz egal, was er auch versuchte. Nur, dass sich der Sand dabei in Blut verwandelte.
Sie hatten das Tor durchschritten. Meruhe ging noch einmal zurück,
um es hinter ihnen wieder zu schließen, was Andrej zunächst widersinnig erschien, bis er begriff, dass das genaue Gegenteil der Fall
war. Die Wachen würden womöglich noch Stunden bewusstlos bleiben, aber das offen stehende Tor hätte jedem, der nach ihnen suchte,
entgegengeschrien, in welche Richtung sie geflohen waren. Er nahm
zurück, was er gerade über Meruhe gedacht hatte. Eigentlich war
nichts, was diese sonderbare Frau tat oder sagte, jemals sinnlos gewesen.
Meruhe streifte ihn mit einem spöttischen Blick, als wüsste sie, was
in ihm vorging, und ging zu ihrem Kamel, um aufzusteigen, stockte
aber plötzlich in der Bewegung, drehte sich um und blickte konzentriert in die Dunkelheit links von sich. Auch Andrej wandte sich in die
Richtung - und sei es nur, um noch ein paar weitere Augenblicke
herauszuschinden, ehe er auf dieses vermaledeite Kamel steigen
musste.
Dann riss er ungläubig die Augen auf.
Wenn Meruhe durch die Schatten ging, wie sie es nannte, dann
mussten die Männer, die plötzlich vor ihnen standen, eine Möglichkeit gefunden haben, um die Wirklichkeit herumzugehen, denn Andrej war absolut sicher, dass sie einen Lidschlag zuvor noch nicht da
gewesen waren. Sie hatten sich nicht angeschlichen oder auf irgendeine andere geheimnisvolle Weise herangepirscht. Sie waren einfach erschienen.
Es waren die fünf weiß gekleideten Fremden, die Andrej schon zuvor im Palast gesehen hatte. Aus der Nähe betrachtet wirkten sie beinahe noch unheimlicher. Jeder Einzelne von ihnen war mindestens so
groß wie Abu Dun, dabei aber sehr viel schlanker, beinahe schon
zerbrechlich, und auf eine irritierende Art feingliedrig. Andrej wusste
zwar, dass es unmöglich war, aber ihre Haut kam ihm noch schwärzer vor als die Abu Duns, und ihre Gesichter waren… sonderbar.
Das was das einzige Wort, das Andrej dazu einfiel. Er hatte Gesichter wie diese noch nie gesehen. Sie waren schwarz, erinnerten darüber hinaus aber in nichts an die Bewohner des dunklen Teiles von
Afrika, doch sie wirkten auch nicht arabisch und schon gar nicht abendländisch. Sie hatten etwas schwer in Worte zu fassen Edles,
wirkten zugleich aber unnahbar und Furcht einflößend. Andrej kam
es vor, als stünde er keinen Menschen gegenüber, sondern Geschöpfen, die eine andere Entwicklungsstufe erreicht zu haben schienen.
»Wer zum Teufel…?«, fragte Abu Dun, und seine Hand zuckte
zum Schwert, doch Meruhe hielt ihn mit einer raschen Bewegung
zurück.
»Nicht«, sagte sie. »Tut nichts, ich beschwöre euch! Ich… ich mache das schon.«
Ihre Stimme klang nicht besonders überzeugt, und auch Andrej legte die Hand auf das Schwert, zog die Waffe aber noch nicht, sondern
trat schweigend neben Abu Dun, während Meruhe den Fremden entgegentrat und mit ihnen zu reden begann. Andrej verstand nicht, was
sie sagten, denn sie bedienten sich jetzt wieder der alten Sprache,
aber er spürte, dass es kein angenehmes Gespräch war, auch wenn
Meruhe und die Fremden ruhig miteinander redeten und ihre Worte
von einem fast sanften Lächeln begleitet wurden.
»Was meinst du?«, flüsterte Abu Dun.
Andrej konnte nur mit den Schultern zucken. Je länger er die Fremden betrachtete, desto mehr verwirrte ihn ihr Anblick. Die unerschütterliche Ruhe, die sie auszustrahlen schienen, und die vollkommene
Abwesenheit jeglicher Angst, die Abu Duns Anblick normalerweise
selbst bei den tapfersten
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