Die Verfluchten
Zeit bleibt uns nicht mehr. Wir lassen alles hier, bis auf das Wasser. Alles andere findet sich unterwegs.
Schnell jetzt.«
Abu Dun schien noch einmal widersprechen zu wollen, aber zugleich spürte er, wie ernst es Meruhe mit ihren Worten war. Rasch
wandten sie sich um und gingen mit schnellen Schritten zurück zu
der kleinen Quelle, neben der sie ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten.
»Wie konnten sie wissen, wo wir sind?«, fragte Abu Dun mit einem
schrägen Seitenblick auf Meruhe.
Obwohl sie ihm den Rücken zuwandte und den Ausdruck auf seinem Gesicht somit nicht erkennen konnte, antwortete sie in einem
Ton, als hätte sie ihn gesehen. »Weil der Weg durch die Wüste direkt
zu meinem Dorf führt. Es ist nicht besonders schwer, sich zu denken,
wohin wir unterwegs sind.«
»Faruk?«, fragte Abu Dun.
»Vielleicht.« Meruhe zuckte mit den Schultern. »Vielleicht auch
Ali Jhin - oder beide. Ich fürchte, wir werden es früher erfahren, als
uns lieb ist.«
Sie hatten die Kamele erreicht. Die großen Tiere hatten sich zum
Schlafen niedergelegt und die Beine dabei in einer kompliziert aussehenden Haltung unter den Körpern zusammengefaltet. Meruhe
berührte ihr Reittier nur flüchtig am Kopf, woraufhin das Kamel die
Augen aufschlug und, ohne dass es einer weiteren Aufforderung bedurft hätte, aufzustehen begann. Meruhe schwang sich mit einer Bewegung in den Sattel, die so mühelos wirkte, als sei sie tatsächlich
hinaufgeflogen, schüttelte aber rasch den Kopf, als Andrej und Abu
Dun ihre Tiere ebenfalls wecken wollten.
»Steigt zuerst auf«, riet sie.
Andrej sah den Grund dafür zwar nicht wirklich ein, gehorchte aber, zumal Abu Dun es sofort und ohne zu zögern tat. Kaum saßen
sie in den Sätteln, schnalzte Meruhe auf eigentümliche Weise mit der
Zunge, und die beiden Kamele hoben gleichzeitig die Köpfe und
standen auf. Als Andrej sah, wie sich Abu Duns Tier zuerst mit dem
breiten Hinterteil auf die langen, staksigen Beine hochstemmte,
musste er sich sehr beherrschen, um seine aufkommende Übelkeit zu
bekämpfen. Doch im nächsten Moment brauchte er all seine Kraft
und Körperbeherrschung, um nicht kopfüber abgeworfen zu werden,
als sein eigenes Kamel die Bewegung nachahmte. Irgendwie gelang
es ihm, im Sattel zu bleiben, aber er hatte das sichere Gefühl, dass
das nichts als pures Glück gewesen war. Das Kamel drehte den Kopf
und schielte mit einem Auge zu ihm zurück. Andrej war jetzt sicher,
dass Kamele sehr wohl dazu imstande waren, schadenfroh zu grinsen.
Der Blick, mit dem Abu Dun ihn maß, war kaum weniger schadenfroh, aber auch von einer mühsam zurückgehaltenen Sorge erfüllt.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich.
Bevor Andrej antworten konnte, wehte aus der Nacht das Wiehern
eines Pferdes heran, und er registrierte erst mit einiger Verspätung, wie nahe das Tier schon sein musste, wenn er das Geräusch mit seinen momentan stark beschnittenen Sinnen hören konnte.
»Ja«, antwortete er mit Verspätung. »Dann wollen wir hoffen, dass
du Recht gehabt hast, Abu Dun.«
»Womit?«, erkundigte sich der Nubier.
»Dass Kamele tatsächlich schneller sind als Pferde.«
»Die Frage ist eher, ob du es durchhältst«, sagte Abu Dun ruhig.
»So ein Unsinn«, knurrte Andrej. »Streng dich lieber an, damit du
nicht zurückfällst.« Und damit rammte er seinem Kamel die Fersen
in die Seite, und das Tier machte einen regelrechten Satz und spurtete los.
Nachdem es Andrej mit Abu Duns Hilfe gelungen war, wieder auf
den Rücken des Kamels zu klettern, ritt er das zweite Mal sehr viel
vorsichtiger los.
Abu Duns Vorhersage erwies sich als richtig. Die Kamele waren schneller als Pferde - was vermutlich der einzige Grund war, warum
sie ihr Ziel überhaupt erreichten.
Andrejs Zustand besserte sich nur allmählich. Die Wunde auf seinem Handrücken begann zu heilen; fantastisch schnell für die Begriffe eines Sterblichen, aber erschreckend langsam für ihn. Am Abend
des ersten Tages ihrer Flucht, die sie weiter durch die versteinerte
Wüste führte, begann sich der Schorf zu lösen, und darunter kam
eine dünne, fast unnatürlich hell schimmernde Narbe zum Vorschein,
die auch am nächsten Morgen noch sichtbar war und erst im Laufe
des Tages ganz allmählich verblasste. Der Anblick schien Abu Dun,
der keine Gelegenheit verstreichen ließ, immer wieder unauffällig an
seiner Seite zu reiten und seine Hand mit einem verstohlenen Blick
zu streifen, mehr zu beunruhigen als ihn, was aber durchaus daran
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