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Die Verfluchten

Die Verfluchten

Titel: Die Verfluchten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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erzählt hat oder weil du dich daran erinnerst?«
Andrej schwieg betroffen. Natürlich hatte sie Recht. Meruhe machte eine Kopfbewegung in die Richtung, aus der sie kamen. »Meine
Eltern kommen aus der gleichen Gegend wie dein Gefährte, Andrej.
Sie wurden aus ihrer Heimat vertrieben und waren auf der Suche
nach einem Platz, an dem sie leben konnten, und bei diesen guten
Leuten hier haben sie ihn gefunden. Ich bin in ihrem Dorf aufgewachsen, und meine Mutter hat mir viele der alten Geheimnisse ihres
Volkes verraten, bevor sie starb, sodass ich mich bei diesen Menschen für ihre Mildtätigkeit und Gastfreundschaft revanchieren konnte. Aber ich war nicht immer eine weise, alte Frau aus dem Land der
schwarzen Pharaonen. Es gab eine Zeit, in der ich ein Kind war, auch
wenn sie schon so lange zurückliegt, dass ich mich kaum noch daran
erinnere. Und Kinder sind nun einmal neugierig. Ich habe viel Zeit in
diesen Höhlen verbracht, und wahrscheinlich hatte ich einfach nur
Glück, mich nicht darin verirrt zu haben und jämmerlich zu verdursten oder zu verhungern. Seither kenne ich die Höhlen wie keine andere. So einfach ist das.«
Und so falsch, dachte Andrej. Er spürte, dass das nicht die Wahrheit
war. Nicht einmal annähernd. Aber er beließ es dabei und fragte
stattdessen: »Wenn diese Höhlen ein so sicherer Zufluchtsort vor
Feinden sind, wie konnte Ali Jhin dann so viele von euch gefangen
nehmen?«
Meruhes Gesicht verdüsterte sich. »Das war meine Schuld«, gestand sie dann. »Vielleicht bin ich leichtsinnig geworden.«
»Du bist leichtsinnig geworden?«, fragte Andrej zweifelnd. »Ich
wusste bisher gar nicht, dass du dieses Wort kennst.«
»Vielleicht war das Schicksal einfach zu lange zu gut zu uns«, erwiderte Meruhe, und obwohl sich die Schatten von ihrem Gesicht
gehoben hatten und sie jetzt wieder lächelte, schwang doch ein sonderbarer Ernst in diesen Worten mit. »Ich wusste, dass sie kommen
würden. Aber ich habe geglaubt, es wäre noch Zeit. Es war immer so
leicht, ihnen zu entwischen. Möglicherweise zu leicht. Ich habe zu
lange gezögert. Als sie dann da waren, war es zu spät, um alle in Sicherheit zu bringen.«
»Und da hast du beschlossen, dich zusammen mit den anderen gefangen nehmen zu lassen, um bei deinen Leuten zu bleiben und sie
zu befreien«, vermutete Andrej. »Was war das? Besonders mutig?
Besonders tapfer? Oder besonders dumm?«
»Vielleicht von allem ein bisschen«, gestand Meruhe. »So wie das,
was du getan hast.«
»Es war Abu Dun…«, begann Andrej, doch Meruhe verfiel wieder
in eine ihrer Gewohnheiten und unterbrach ihn: »… der seine Gründe
hat. Das kann ich verstehen, auch, wenn ich sie vielleicht nicht gutheiße. Aber du?« Sie schüttelte heftig den Kopf und sah ihn durchdringend an. Auch die allerletzte Spur des Lächelns war aus ihren
Augen gewichen. »Warum hast du dich entschieden? Ihr hattet keine
Chance, aus dem Verlies zu entkommen, geschweige denn aus der
Festung. Dass ihr noch lebt, ist…«, sie machte ein Gesicht, als müsse
sie ernsthaft grübeln, dann hob sie die Schultern, »ich wollte gerade
sagen: Glück, aber eigentlich müsste man schon ein anderes Wort
dafür erfinden.«
Andrej blieb ernst. Ihm war nicht entgangen, dass sie ihr gesagt
hatte, nicht wir. »Wir waren schon in aussichtsloseren Situationen.
Abu Dun und ich.«
»Es war trotzdem ein schreckliches Risiko«, beharrte Meruhe.
»Keines, das ein vernünftiger Mann eingehen würde, und ich halte
dich für einen vernünftigen Mann, Andrej Delãny. Warum also bist
du trotzdem mitgegangen?« Sie nahm die einzig mögliche Antwort
vorweg. »Nur aus Freundschaft?«
»Und wenn es so wäre?«, fragte Andrej unbehaglich.
»Dann wärst du vielleicht wirklich der Mann, für den ich dich halte«, erwiderte Meruhe geheimnisvoll. »Aber du wolltest wissen, warum ich es getan habe, und ich habe deine Frage noch nicht beantwortet. Ich glaube, Ali Jhin wollte die ganze Zeit über nur mich.«
»Dich?«, vergewisserte sich Andrej.
Seine Stimme musste zweifelnder geklungen haben, als er es beabsichtigt hatte, denn einen Moment lang sah Meruhe beleidigt aus.
»Stell dir vor, ja«, sagte sie schnippisch. »Man sieht es ihm vielleicht
nicht an, aber er ist ein sehr mächtiger Mann. Ein Mann, der es gewohnt ist, alles zu bekommen, was er haben will.«
»Und er wollte dich haben«, vermutete Andrej. Diesmal war es einfach nur eine Frage ohne jeglichen Hintergedanken, aber Meruhe war
offensichtlich

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