Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
Rücken zusammengebunden? Es dauert tatsächlich einige Sekunden, bis er sich sicher ist – die Hände sind hinter seinem Rücken gefesselt. Aber womit? Mit Klebeband?
Kimski hat das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Das Atmen fällt ihm schwer.Was steckt in seinem Mund? Ein T-Shirt? Im Fernsehen sieht es immer so bequem aus, wenn Gangster jemanden
in einen Kofferraum stecken, was offensichtlich nicht wahr ist. Das ist ihm immer schon komisch vorgekommen. Kimski ist etwa einen Meter neunzig groß. Wie um alles in der Welt passt ein ausgewachsener Mann seiner Größe in den Kofferraum eines Mittelklassewagens, ohne dass man seinen Körper wie einen Wäscheständer zusammenklappt?
Kimski hat schon so einiges erlebt und er würde sich selbst sicherlich nicht als Angsthase beschreiben, aber jetzt spürt er deutlich, wie Panik in ihm aufsteigt. Eine Panik, die sich von einem Punkt tief in seinem Magen aus ausbreitet, seine Lungen zusammenschnürt und schließlich in seinen ganzen Körper vordringt.
45.
Er kommt langsam wieder runter. Wahrscheinlich war es das Adrenalin, das seinen Körper in diese Unruhe versetzt hat. Jetzt kann er sich wieder einigermaßen sammeln. Er kurbelt die Scheibe herunter, umfrische Luft in den Wagen zu lassen. Dann streckt er den Kopf aus dem Fenster und schreit in die Nacht hinaus, danach geht es ihm besser. Es ist zwar einiges schiefgelaufen, aber irgendwie hat er trotzdem den Eindruck, in Hochform zu sein, zudem ist noch nichts verloren.
Er muss nur weiter gut nachdenken. Kimski hat er eingesackt – im wahrsten Sinne des Wortes –, also kann der Schnüffler schon mal nichts der Polizei verraten. Die Doktorarbeit hat er in Kimskis Hose versteckt gefunden, als er ihn fesselte. Der wollte ihn doch tatsächlich bescheißen, indem er die Dokumente nicht rausrückt. Aber jetzt stecken sie im Handschuhfach seines Wagens. Und ihn selbst hat die Polizei nicht erkannt, er war ja maskiert. Ob sie das Nummernschild sehen konnten? Es ging alles so schnell und es war so dunkel, außerdem hat er die Autoscheinwerfer erst eingeschaltet, nachdem er losgefahren war. Das heißt, sie können das Kennzeichen in der Dunkelheit eigentlich überhaupt nicht gelesen haben. Das ist gut.
Er geht davon aus, dass Kimski nach dem Feuergefecht an der Thingstätte immer noch der Hauptverdächtige der Polizei ist. Die SEKler haben ihn nicht erschossen, was seinen Plan eigentlich zunichte macht, und er selbst kann ihn auch nicht einfach abknallen.
Aber Moment – was, wenn Kimski auf der Flucht Selbstmord begehen oder tödlich verunglücken würde? Das wär’s doch! Er muss dessen Ableben so aussehen lassen, als hätte Kimski selbst Hand an sich gelegt. Vielleicht kann er ihn im Neckar ersäufen. Er wüsste sogar eine geeignete Stelle, an der nachts niemand vorbeikommen dürfte. Er sieht auf die Uhr, noch nicht mal zehn. Das ist zu früh, er sollte damit noch ein paar Stunden warten.
Also fährt er Richtung Dossenheim. Und was er mit Eva anstellen kann und wie er sein aufgewühltes Inneres wieder zur Ruhe bringt, wird ihm bestimmt auch noch einfallen. Nach ein paar Minuten Fahrt parkt Sebastian auf dem unbeleuchteten Feldweg in der Nähe des Gartenhauses. Er nimmt die Fechtmaske vom Beifahrersitz, läuft um den Wagen herum und klopft auf den Kofferraumdeckel.
»Na, alles frisch da drin?«
Er muss sich konzentrieren, um hören zu können, dass Kimski sich im Kofferraum bewegt. Soll er nur zappeln.
»Du musst dich noch ein bisschen gedulden, Kumpel, zu dir komme ich später.«
Als er den schmalen Pfad zwischen den Büschen zur Hütte hinaufläuft, ist er bester Laune, er fühlt sich geradewegs beschwingt.
»Ich bin wieder da!«, ruft er überschwänglich, als er die Tür öffnet.
Doch nachdem er das Licht eingeschaltet hat, gefriert das Lächeln auf seinem Gesicht. Der Stuhl, an den er Eva gefesselt hatte, steht an derselben Stelle wie vorhin. Aber wohin ist sein Opfer verschwunden? Und was ist aus dem Vorhängeschloss geworden, das er an der Tür angebracht hatte, bevor er das Grundstück verließ?
Nachdem der dunkelblaue Audi verschwunden war, betrat Carlo den kleinen Schrebergarten. Er brauchte eine Weile, bis er es geschafft hatte, das Schloss zu knacken. Schließlich fand er im Gebüsch eine rostige Gartenschere, mit der er nach ein paar Minuten den schmalen Riegel des Schlosses durchtrennen konnte.
In der Hütte dann fiel er beinahe in Ohnmacht, als er Eva sah. Ihn übermannte aber
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