Die Vergessenen. Thriller (German Edition)
dabei einen dicken Kloß im Hals.
»Als Kind wusste er nicht mal, wer sein Vater war. Ich konnte es jahrelang niemandem erzählen. Und als ich Sebastian später erzählte, dass er sein Vater ist ...«
»Er?«
»Der Gestapomann. Es war ... es ist ...«, sie stockt.
»Schon gut«, beschwichtigt Kimski und lehnt sich wieder zurück.
»Es war gespenstisch. Auf einmal glorifizierte er den Mann, den er zuvor so sehr gehasst hatte. Ich konnte für seine Nazibegeisterung kein Verständnis aufbringen. Von da an zerbrach unsere Beziehung gänzlich. Wissen Sie, ich habe meinen Sohn seit acht Jahren nicht mehr gesehen.«
Sie schnäuzt in das Taschentuch.
»Machen Sie sich keine Vorwürfe.«
Sie wischt sich die letzten Tränen aus dem Gesicht und legt das Tuch zur Seite. Ihre Gesichtszüge entspannen sich wieder.
»Keine Angst. Ich mache mir keine Vorwürfe. Am Ende ist jeder Mensch für seine Taten selbst verantwortlich.«
»Wahrscheinlich«, murmelt Kimski.
»Wenn er das, was man ihm vorwirft, getan hat, dann ist es besser so, dass Sie ihn gestoppt haben. Vielleicht hilft ihm die Zeit im Gefängnis, sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen.«
»Vielleicht.«
»Ich glaube, es gibt nichts Schlimmeres, als alt zu werden und zu wissen, dass man die Dinge, die man in seinem Leben angestellt hat, nicht ins Reine gebracht hat. Ich habe es schon damals am Blick dieses Mannes gesehen. An diesem fürchterlichen Tag ... als er mich gehen ließ ... Seine Augen sagten, dass es ihm nicht gut ging.«
Kimski entgegnet nichts. Er muss an Adelbert Kampowski denken, als er ihn das letzte Mal gesehen hat, kurz vor dessen Tod. Und an Sebastian. Er will sie nicht entmutigen, aber Geschichten von Menschen, die sich im Gefängnis geläutert hätten, hat er noch nicht oft gehört.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
»Gerne«, antwortet sie.
»Glauben Sie, dass es irgendetwas gebracht hat, dass Sie damals in den Widerstand gingen?«
»Wenn man die Wirkung betrachtet, die der Widerstandskampf in Deutschland hatte, muss man die Frage verneinen. Aber dass es in diesem Land Tausende Menschen gegeben hat, die nicht mit dem Strom geschwommen sind, die ihren Mund aufgemacht haben, wenn sie Unrecht sahen, und das, obwohl sie wussten, dass sie damit ihr Leben riskierten – das ist doch immerhin etwas.«
»Das stimmt.«
Klara dreht ihren Kopf zu ihm hin und blickt ihn direkt an. »Wieso haben Sie ausgerechnet diesen Ort als Treffpunkt gewählt?«
»Ich weiß nicht. Ich wollte heute sowieso hier hin«, er zögert. »Ich habe herausgefunden, dass ich jüdische Vorfahren habe. Ich glaube, deswegen wollte ich mir die Synagoge einfach mal ansehen.«
»Und? Wie fühlen Sie sich, jetzt wo Sie hier sind?«
Kimski zuckt mit den Achseln. Klara lächelt ihn an und legt ihre Hand auf seine Schulter.
»Kommen Sie.«
Sie erhebt sich und verlässt die Bankreihe Richtung Gang.
»Wohin gehen Sie?«
»Nach nebenan in den Speisesaal. Ich habe mir sagen lassen, hier gäbe es erlesene israelische Köstlichkeiten zu probieren. Oder haben Sie schon gegessen?«
»Nein. Erlesene Köstlichkeiten sagen Sie?«
»Ganz genau.«
Kimski könnte tatsächlich mal wieder ein paar Köstlichkeiten vertragen. Und wenn sie erlesen sind, dann umso besser.
»Warten Sie auf mich!«, ruft er und springt auf.
»Ich glaube, das ist eine gute Gelegenheit, mich mit einer neuen Kultur vertraut zu machen.«
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Kimskis erster Fall: DIE PARTIE
Ein Wahnsinniger veranstaltet eine mörderische Schachpartie – dafür dient ihm der schachbrettartige Grundriss der Mannheimer Innenstadt als Spielbrett. Die Hinweise, die die Polizei erhält, führen zurück in die Geschichte: Zum Kurfürsten Carl Theodor, der einst die Illuminaten verbieten ließ, und zu einer weiteren sonderbaren Geheimgesellschaft. Kommissar Kimski, ehemaliger SEK-Beamter, lässt sich auf das tödliche Katz-und-Maus-Spiel ein. Beim Berechnen des jeweils nächsten Zuges hilft ihm die Journalistin Eva - die Geschichte studiert hat. Schnell stellt sich heraus, dass die beiden ein Rennen gegen die Zeit bestehen müssen.
Leserstimmen:
„Wahnsinnig spannend!“ - Cora Lein
„5 Sterne !“ - Wühlmaus
Impressum
1. Auflage als eBook September 2012
die Print-Ausgabe erschien im Kehl Verlag
Vorab-Lektorat: Ineke Scholz
Lektorat: Marion Appelt, wortvollendet
Korrektorat: Pia Gelpke, wortvollendet
www.wortvollendet.de
Überarbeitung 2012: Daniel
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