Die Vergessenen

fast als würde eine unglaublich komplexe Chromfrucht von innen nach außen gestülpt. Gelenkarme streckten sich, Spulen optischer Kabel und segmentierter Leitungen entrollten sich, kurze Teleskoptürme fuhren aus und öffneten sich zu messinghaften Röhrenwurmköpfen, und ein gedrungener zeckenähnlicher Roboter entpackte sich, blies sich auf und erprobte seine in Vielzweckwerkzeugen endenden Gliedmaßen. Als Nächstes glitten flache Wände über die Plattform hinweg, als sich das ganze Ding noch weiter öffnete und einen Hohlraum erzeugte – groß genug, damit eine skorpionförmige Kriegsdrohne hineingehen konnte.
    Amistad zögerte. Über ein Jahrhundert lang hatte er diese Gestalt getragen und sein Innenleben nur leicht verändert. Mehr Verstand zu erwerben, dazu war es nötig geworden, ein paar interne Bauteile zu verschieben, aber sonst kaum etwas, da zusätzliche Prozessoren und Memokristalle nur wenig Platz beanspruchten. Im Verlauf des zurückliegenden Jahrhunderts war Amistad im Hinblick auf körperliche und mentale Erweiterungen an die Grenze gestoßen. Der Verstand glich einer häufig reparierten und verstärkten Wand, die jetzt, sollte sie noch weiter verstärkt werden, niedergerissen und neu errichtet werden musste. Wollte Amistad jedoch so weit gehen?
    Er war mit seiner Erforschung des Wahnsinns vollkommen glücklich, und für die begrenzten Aufgaben, denen er sich widmete, war er perfekt ausgerüstet. Um jedoch die Autorität Nummer eins in allen die Atheter betreffenden Fragen zu werden – ein derzeit weit über Masada hinausreichendes und auch die Atheter-KI umfassendes Fachgebiet –, musste er sich transzendieren, musste sich auf einem höheren Niveau neu zusammensetzen.
    »Ich bin so weit«, informierte ihn der zeckenähnliche Upgrade-Roboter.
    Amistad zögerte noch eine Sekunde länger und wurde sich dann darüber klar, dass ihn nicht die Angst vor der Aufrüstung selbst zurückhielt, sondern ganz einfach die Angst vor der Verantwortung. Im Grunde war es für ihn an der Zeit, nicht mehr nur an der Peripherie der Polis herumzulamentieren, nicht mehr nur herumzuspielen, sondern endlich nach Hause zu kommen und erwachsen zu werden. Er trat zwischen die komplexen Maschinen und ließ sich auf seine Bauchplatten nieder, streckte die Glieder aus und platzierte die Krallen mit den Spitzen nach unten auf dem Deck. Ein nervöser Schauder lief durch ihn; dann zwang er sich dazu, still zu werden, und wartete.
    »Schalte deine automatische Abwehr aus«, wies die Zecke an.
    Amistad machte sich daran, ein Waffensystem herunterzufahren, das beinahe eine eigenständige Intelligenz entwickelt hatte. Strahlenwaffen, Schienenkanonen und Munitionskarusselle schalteten sich ab, und sein Immunsystem ging widerstrebend offline, das sonst automatisch auf Angriffe durch Computer, Mikrobots und Naniten reagiert hätte.
    »Auch die automatische Reparatur«, setzte die Zecke hinzu.
    Es tröstete Amistad, in den Mitteilungen des Upgrade-Roboters einen Unterton der Nervosität zu entdecken, aber natürlich war es ein bestenfalls riskantes Unterfangen, an etwas zu arbeiten, was für den totalen Krieg gegen eine außerirdische Lebensform hergestellt worden war. Amistad nahm all die internen Mikroschweißgeräte offline, alle Systeme zum Neuguss, nanoskopische Rekonstruktoren und andere interne Reparaturbots, schaltete alle Rerouter aus und erteilte den Panzernaniten überall entlang seiner Außenhülle den Befehl, ihre Tätigkeit zu unterbrechen. An diesem Punkt empfand er auf einmal etwas, das er nur einmal zuvor in der Fabrik erlebt hatte, wo man ihn baute: Verwundbarkeit.
    »Ich fange an«, sagte die Zecke.
    Teleskopische Werkzeugköpfe und kranähnliche Mechanismen widmeten sich ihrer Arbeit und schlossen sich um Amistad wie die Stacheln einer eisernen Jungfrau. Schneidlaser fuhren hoch, dienten aber nur dazu, Metall für die Hyperschall-Neutroniumschneider aufzuweichen, die ihnen folgten. Amistad verfolgte, wie Sektionen der Panzerschale entfernt wurden und seine internen Keramokarbidknochen, leistungsstarke Schrittmotoren, optische und Supraleiterkabel freilegten. Er spürte dies regelrecht geschehen, bis er Millionen mikroskopischer Sensoren abschaltete, die unter der sich lösenden Schale angebracht waren. Als die Klauen abgetrennt wurden, wand er sich unter einem untröstlichen Verlustgefühl, obwohl er wusste, dass er sie zurückerhalten würde. Und bald sah er gar nicht mehr nach einem Skorpion aus, war fast nicht