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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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wenn von der Ausstattung auch kaum etwas übrig geblieben war. Jem erkannte die Glasoberseite eines in den Fußboden hineingeschmolzenen, niedrigen Tisches, einen aschfarbenen Schlamassel, der sich an einer Wand entlangzog und alles darstellte, was von einem Haufen Computerhardware noch existierte, sowie die Überreste eines motorisierten Massagestuhls, der wie ein unheimlich verformtes Menschenskelett dastand.
    »Lomans Bleibe«, sagte Shree, »aber nur für kurze Zeit, nachdem er versucht hatte, Amoloran zu Tode foltern zu lassen. Ich denke, er war nur ein paar Male hier.« Sie bat Grant mit einem Blick um Bestätigung.
    Grant war an ein Fenster getreten, das vom Rand des Raums aus schräg nach außen führte, und erstarrte Rinnsale geschmolzenen Glases ringsherum verrieten, dass das Original dahingeschmolzen war und dieses Glas als Ersatz diente, um die Luft im Raum zu halten. »Das ist richtig, und von hier aus verfolgte er, wie Glaube starb.«
    Jem, der zwischen schlichter intellektueller Neugier und Traurigkeit schwankte, ging zu ihm hinüber, blieb neben ihm stehen und blickte durch das Fenster in der Zylinder-Abschlusskappe hinaus, hinab in den Kern von Glaube, und er sah eine brandversengte Röhre, dicht gepackte, zu kubischen Skeletten versengte Gebäude und metallische Wellen an der Zentralspindel.
    »Woher wissen Sie, dass Hierarch Loman hier war?«, fragte er.
    »Weil er immer noch hier ist«, antwortete Grant.
    »Wo?«, fragte Jem, denn eine andere Reaktion fiel ihm nicht ein.
    Grant drehte sich um und starrte ihn an. »Blicken Sie nach oben.«
    Jem wandte den Kopf nicht; er spürte ein Kribbeln im Nacken. Die ganze Verwüstung hier war nur das Nebenprogramm zum Hauptereignis gewesen, das jetzt an die Reihe kam. Sie hatten ihn hierhergebracht, um das zu sehen, was immer dort oben wartete. Er rang um Entschlossenheit, fand nur Verwirrung, legte dann den Kopf nach hinten und blickte hinauf, direkt in das Gesicht des Hierarchen.
    »Das kohärente Licht hat seinen Körper innerhalb einer Mikrosekunde in ionisierte Materie und Plasma verwandelt«, sagte Grant, »und ihn in Richtung des Laserstrahls geradlinig aufwärtsgetragen.«
    In der grauen Decke zeichnete sich ein Abbild des Hierarchen Loman von der Taille aufwärts ab, bedingt durch die Krümmung der Decke zu den Seiten hin verzerrt, sodass der Anschein entstand, der Hierarch wäre im Begriff, in einem grauen Teich zu versinken. Er hielt die Arme nach oben ausgestreckt – seine letzte Haltung, als er versuchte, das ihn verzehrende Feuer abzuwehren. Andere beschädigte Stellen an der Decke – Metallspritzer – sahen wie Sterne aus. Ihr Anblick verschob auf einmal die Muster in Jems Verstand. Einen Augenblick lang sah es für ihnnicht mehr danach aus, als versänke der Hierarch, sondern als stiege er aus dem sternenübersäten Weltall auf, die Arme zum Segen ausgebreitet.
    »Erinnert mich an das Turiner Grabtuch«, sagte Shree.
    Ja …
    Unvermittelt sprudelte ein Gefühl untröstlichen Verlusts in Jem auf, ein inneres Selbst, ein Kern, der im Entstehen begriffen war. Diesen Kern umkreisten zwei andere Perspektiven.
    Eine davon sann über den Riesenfehler nach, den sie gemacht hatten, indem sie ihn herbrachten, um ihn auf diese Weise ihren Zwecken dienlich zu machen: Sie wollten ihn schwächen, indem sie ihm die Verwüstungen zeigten, die Beweise für den Tod der Theokratie, den verkohlten Schatten des Hierarchen Loman hier an der Decke. Da sie so völlig in ihrer Maschinenwelt kalter Fakten und Logik verharrten, waren sie blind für die Hinweise, die hier jedem erkennbar waren, die nur irgendeine religiöse Sensibilität mitbrachte. Hierarch Loman war nicht tot. Hierarch Loman war zum Märtyrer geworden und in den Heiligenstand aufgestiegen, und hier war der Beweis, von der Hand Gottes selbst allein für Jems Augen gezeichnet.
    Die andere Perspektive zeigte einen schlichten Verstand, dessen Vorstellungskraft allein dem Zweck dienstbar gemacht worden war, Langzeitindoktrination zu stärken. Eine entsetzliche, intelligente Perspektive, bar jeder Verachtung, voller Verständnis und doch fern aller menschlichen Anliegen.
    Jem wandte sich ab, ohne recht zu wissen, ob er nur den Blick von der Macht des Bildes über ihm lösen oder die in seinen Augen glitzernden Tränen vor den beiden anderen verbergen wollte.
    »Wir haben ihn anhand von DNA identifiziert, die wir vom Boden gekratzt haben«, sagte Grant. »An der Decke war keine zu finden, denn der

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