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Die Vergessenen

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Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Fesseldraht geschleudert werden konnte. Starke Sicherheitsmaßnahmen, war dies doch der direkte Zugang zu Amolorans Residenz, aber es waren keine tödlichen Sicherheitsmaßnahmen – Amoloran und sein Nachfolger Loman hatten sicherlich jeden Attentäter, der so weit kam, verhören wollen, ehe sie ihn in die Dampfkessel schickten. Jem zuckte bei dem Gedanken an die Agonie zusammen, die jeder, der hier gefangen genommen wurde, hätte ertragen müssen. Dann überraschte ihn die eigene Empathie auf einmal.
    »Auf der anderen Seite wirken sich die Gravoplatten des Turms aus«, informierte Grant sie. »Und dort herrscht Luftdruck.«
    Die Innenluke gewährte ihnen Zugang zu einem brandversengten Korridor, und der Zug der Gravoplatten brachte sie heftig auf den Überresten üppigen Teppichbodens zum Stehen. Auf verschnörkelten Wandleuchtern brannten rötliche künstliche Flammen. Jeder dieser Leuchter schien aus einem dekorativen Spitzenmuster zu bestehen, das aus Edelmetallen und Steinen hergestellt worden war. Die eigentlichen Wände waren mit Ikonen geschmückt, viele davon brandgeschwärzt, während in den Nischen Alabasterstandbilder früherer Hierarchen aufragten – eine Zurschaustellung von Reichtum, die für einen solchen Ort doch sicherlich angemessen war, oder?
    Grant nahm den Helm ab und hängte ihn an einen Haken am Gürtel. Shree tat es ihm nach, aber Jem folgte ihrem Beispiel erst, als etwas in seinem Halsring klickte und der jetzt nur noch lose sitzende Helm herunterzufallen drohte. Der Geruch brach sofort über ihn herein. Es war, als hätte er gerade einen seit Jahren erkalteten Ofen betreten.
    »Achten Sie darauf, wo Sie die Füße hinsetzen«, riet ihm Grant.
    Jems Blick wanderte zu der verkohlten Leiche hinab, die direktvor ihm auf dem Teppich klebte, und es schnürte ihm den Hals ab. Von der Proktorenuniform war noch etwas übrig, aber der Hinterkopf dieser Person, der Rücken und die Rückseiten der Beine waren bis auf Stränge inzwischen ausgetrockneter Muskulatur versengt worden. Als Nächstes analysierte die kältere Seite von Jems Verstand präzise, was hier verbrannt war, welche Richtungen die Brandschäden andeuteten, und konnte daraus folgern, dass das Feuer diesem Korridor von dem Ende aus gefolgt war, zu dem sie gerade hinübergingen.
    »Vieles ist gänzlich verdampft«, erläuterte Grant. »In anderen Bereichen tobten die Brände, bis die Luft aufgezehrt worden war.«
    »Der Hierarch?«, erkundigte sich Jem.
    »Sein oberer Turm enthält viele Fenster und sonstige Öffnungen, sodass das meiste im Innern blitzartig verbrannte. Da oben ist nicht viel zu sehen, aber wir werfen trotzdem mal einen Blick darauf.«
    Am Ende des Korridors erreichten sie eine Wendeltreppe, auf der jede der nach oben führenden Stufen mit einer Gravoplatte ausgestattet war. Nachdem er zuvor schon über die Summen nachgedacht hatte, die es gekostet hatte, diese Platten in die Theokratie zu schmuggeln, konnte Jem nicht umhin, eine gewisse Missbilligung solcher Verschwendung zu empfinden, aber er verstand trotzdem die Motivation. Von Kindesbeinen an war er sich einer Spaltung zwischen planetaren und Zylinderwelt-Theokraten bewusst gewesen. Die auf der Oberfläche Masadas, wie er, waren stets puritanischer gewesen und stoischer in ihrem Glauben. Beide verfügten jedoch über einen solchen Glauben, was den Unterschied zwischen ihnen unbedeutend machte, verglichen mit dem Abgrund zwischen beiden Gruppierungen und der Polis.
    »Ups, da haben wir noch einen«, sagte Shree.
    Von der Leiche auf der Treppe war nicht viel übrig, nur einfötaler Knirps, ausgeführt in Kohle – unmöglich, den Rang zu erkennen, das Geschlecht oder auch nur, ob er ein Erwachsener oder ein Kind gewesen war. Die Wandleuchter hingen hier geschmolzen an ihren Halterungen und fehlten weiter oben ganz. Dort hatte man sie durch weich leuchtende Kugeln ersetzt, die strategisch entlang der Wände verteilt waren, um diesen oder jenen Gegenstand hervorzuheben: eine Schusswaffe, scheinbar eingeätzt in eine Gravostufe, die nicht mehr funktionierte und Jems Magen einen Stoß versetzte, als er über sie hinwegstieg; eine Stahlplastik, die zu einer Haltung scheinbarer Ehrerbietung nach vorn gesackt war.
    Schließlich trafen sie vor einer verzogenen Doppeltür ein, die sich vor Grant quietschend öffnete, angetrieben durch seitlich angebrachte hydraulische Arme aus Polistechnik. Die riesige Wohnung dahinter war offensichtlich die einer hochrangigen Person gewesen,

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