Die Vergessenen
nicht, das war irrelevant – ich diente einfach als sicheres Speichermedium. All das geschah nach einem Countdown mithilfe von Pfennigmuschelschalen, einem zwanzig Jahre währenden Countdown.« Er blickte Sanders an, die lächelte, erinnerte sich an die Stille auf der Terrasse des Sanatoriums, erinnerte sich daran, wie Sanders sich entkleidet hatte, um schwimmen zu gehen. Das schien ein Zeitalter entfernt.
»Warum sah er sich dazu gezwungen?«
»Er war ein Soldat, der mit dem Schutz eines Zivilisten befrachtet war – nie fähig, vorbehaltlos zu kämpfen, immer um den Schützling besorgt.«
»Aber zwanzig Jahre?«
»Vor zwanzig Jahren wäre der Techniker noch nicht dafür bereit gewesen, aber jetzt ist er es. Deshalb rührte sich der Weber auch zuerst in meinem Verstand, um den Mechanismus herzulocken. Jetzt hat er meinen Verstand verlassen, um das Kommando über die Schlacht zu führen.« Er schüttelte den Kopf, traurig, verwirrt. »Obwohl ich nicht denke, dass seine körperliche Präsenz hier nötig ist; er möchte einfach am Abschuss beteiligt sein – schließlich ist er ja ein Raubtier.«
»Aber es war doch gewiss Amistads Manipulation an dir, was dem Weber die Möglichkeit eröffnete, das zu tun.«
Tombs lächelte humorlos. »Amistad und Penny Royal haben als Repräsentanten der Polis exakt so gehandelt, wie Drache esvon ihnen erwartet hatte. Sie hielten mich am Leben, und sie behielten mich hier. Alles andere, was sie taten, war belanglos. Sie sorgten für meine Sicherheit, bis der richtige Zeitpunkt gekommen war.« Er unterbrach sich und blickte sich suchend um, als suchte er nach etwas, was er verloren hatte. »Und jetzt ist er fort und ich bleibe als zerbrochene Flasche zurück.«
»Aber wozu der Download in einen Menschen?«
Tombs zuckte die Achseln und wirkte müde. »Weil Drache wollte, dass der Mechanismus physisch hier auf Masada erscheint. Indem der Weber in einem Menschen untergebracht wurde, war sichergestellt, dass der Mechanismus der Lebensform Mensch seine Aufmerksamkeit widmete und sie als ausreichend große Gefahr einstufte, um selbst hierherzukommen.«
»Du bist nicht zerbrochen«, sagte eine Stimme. Die Worte waren perfekt artikuliert und kamen doch eindeutig nicht aus Menschenmund.
»Ich fühle mich leer«, wandte Jem ein.
»Ja, aber jetzt kannst du dich selbst füllen.«
Mit einer Gänsehaut am Rücken drehte sich Sanders um. Die Schnatterente hatte sich völlig lautlos bewegt und hockte jetzt einen Meter von ihnen entfernt. Sanders war noch nie einer dieser Kreaturen so nahe gewesen. Die Schnatterente verströmte einen Geruch wie von einem Apfelkuchen mit Zimt, jedoch mit einem Hauch von Aas darunter. Die Haut erinnerte an die eines Nashorns, aber mit violetten und grünen Flecken und von einem Schimmer überzogen, als hätte man sie mit einer dünnen Schicht Goldfarbe eingesprüht. Ein mehrgliedriger Unterarm war eingeklappt, der andere teilweise geöffnet, und Sanders sah jetzt, dass die Schnatterente ihre Sechskrallenklaue in zwei Klauen mit jeweils drei Krallen unterteilen konnte. Sie hielt die beiden Menschen kurz mit ihrem smaragdenen Blick gebannt, drehte sich dann um, senkte sich auf alle viere und zockelte aus dem Bauwerk hinaus. Warum überraschte es Sanders eigentlich, dass sich ein Atheter so lässig mit ihnen verständigte? Die Schnatterenten sprachen schon Menschenworte, seit Menschen auf Masada erschienen waren.
»Er ist hier«, sagte Tombs und traf Anstalten aufzustehen.
Sanders hielt ihn einen Augenblick lang mit der Hand auf der Brust fest, aber er schien absolut entschlossen und wischte die Hand weg, sodass sie ihm lieber half, so gut sie konnte, obwohl sie selbst ramponiert und voller blauer Flecken war.
Ein kräftiger Wind schien rauschend und ungeduldig durchs Flötengras zu fahren, und dann floss der Techniker ins Blickfeld und bewegte sich einmal im Kreis um das Bauwerk, bis die Kapuze zum Schwanz aufholte, sodass er einen Ring bildete. Dieser Ring bewegte sich weiter und wurde immer schneller, und die Kapuze umfasste schließlich den Schwanz.
»Was jetzt?«, fragte Sanders und musste die Stimme heben, um durch das Getöse verstanden zu werden.
»Jetzt erhält er seine Befehle!«, antwortete Tombs.
Sanders starrte auf die Schnatterente hinab, auf den Atheter namens Weber. Er nahm inzwischen wieder eine Hockstellung ein, die Arme auf der Brust verschränkt wie ein selbstzufriedener Buddha. Er ließ nicht erkennen, dass er irgendwelche Befehle
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