Die Vergessenen

Hölle erwarteten den Gläubigen und den Ungläubigen.
    Sanders brannte jetzt wohl in der Hölle.
    Jem zuckte zusammen, so scharf drang eine Schmerzerinnerung in sein Bewusstsein, ein kurzes Bild davon, wie Sanders für immer schrie. Er fand sich auf den Knien im Sand liegend. Gott hatte ihm einen kurzen Eindruck der Hölle gewährt, um seine Entschlossenheit zu stärken, also warum schmerzte die bloße Vorstellung von dem so sehr, was jetzt mit Sanders passierte?
    Weiter!
    Er blickte zur Seite und starrte diesen auf den Strand gezogenen Gegenstand an. Er konnte sich nicht erinnern, dass das Boot schon zuvor dort gelegen hatte, aber vielleicht war es außerhalb seines Blickfelds geblieben, solange er im Rollstuhl saß. Er zwang sich, sich aufzurappeln, und stolperte hinüber, um sich das Fahrzeug anzusehen.
    Es war fünf Meter lang, hatte einen hochgeklappten Außenborder von einer Konstruktionsweise, die er nicht kannte, und freiliegende Zwillingspropeller. Wie eine so kleine, ja winzige Maschine solch große Schrauben und ein so großes Boot antreiben konnte, das entzog sich Jems Verständnis. Er sah sich alles genauer an und stellte fest, dass die Energie aus dem kleinen würfelförmigen Gerät darunter stammte und über zwei Drähte geleitet wurde. Er probierte die einfachen Steuerungselemente am Griff des Ruders und hatte die beiden Schrauben bald in rasende Rotation versetzt, wich dann ein Stück weit zurück und studierte das Fahrzeug erneut. Er bezweifelte, dass er es in seiner geschwächten Verfassung ins Wasser ziehen konnte, aber er musste es versuchen. Die Wachtposten konnten jetzt jederzeit zurück sein und Sanders finden, und dann würden sie ihn verfolgen. Angesichts dessen, was er inzwischen wusste, würden sie absolut entschlossen sein zu verhindern, dass er in die Theokratie zurückkehrte.
    Er ging zum Bug, löste ein dünnes Tau von einem in den Sand gerammten Pfosten, warf das Tau ins Boot und packte dann den am Bug befestigten Ring. Zu seiner absoluten Verblüffung konnte er das Boot vorn mühelos anheben – es musste aus Blasenmetall gefertigt sein wie der Aerofan eines Proktors. Innerhalb eines Augenblicks hatte er es ins Meer gezogen und stieß es vom Strand weg, ehe er sich an Bord wälzte und unsicher zum Sitzplatz achtern tappte.
    Erst als er den Außenborder heruntergeklappt hatte und die Zwillingsschrauben ein schäumendes Kielwasser hinter ihm herzogen, überlegte er, wohin er sich wenden wollte. Es schien ihm wahrscheinlich, dass, wenngleich die Insel hinter ihm nicht die Häretikerinsel sein konnte, sie doch derselben dicht gefügten Inselkette angehörte. Das bedeutete, dass er sich nach Norden halten musste, um den Hauptkontinent zu erreichen. Er überzeugte sich von der Position der Sonne und der des Mondes Amok, der sich vage zu seiner Rechten abzeichnete, und wurde sich darüber klar, dass er keine Ahnung hatte, wo Norden war. Erst dann wanderte sein Blick abwärts. Er entdeckte die kleine Konsole unter der Ruderpinne und über dem Stromkubus sowie in dieserKonsole den Kompass und das Kartendisplay. Die elektronische Karte zeigte ihm klar und deutlich an, dass er sich von einer sichelförmigen Insel namens Häretikerinsel entfernte. Das musste eine Lüge sein, also ignorierte er es, starrte nur den Kompass an und brachte das Boot auf nördlichen Kurs. Während er sich weiter von der Insel entfernte, blickte er zu dem Bauwerk hoch über dem Strand zurück, spürte eine furchtbare Enge in der Brust und erlebte auf einmal, wie die Sicht verschwommen wurde. Er hob die Hand und berührte die Tränen, die ihm über die Kopfabdeckung liefen.
    Wieder eine Lüge.
    Der Untergrund sah physikalisch heute nicht viel anders aus als vor zwanzig Jahren, aber er wirkte leer, und der Wind, der zuzeiten von dem unterirdisch entspringenden zentralen Fluss der Höhle Andromeda ausging, schien diese Verlassenheit zu beklagen. Nachdem Grant von der Oberfläche aus den Windungen der langen Treppe gefolgt war, durchquerte er ein Schimmerfeld, bei dem es sich nicht um einen aktuellen Import aus der Polis handelte; vielmehr war es vor der Rebellion zum Preis von Menschenleben von einem Händler erworben worden, der in Zealos mit Squermessenz handelte. Von jeher war es eine gefährliche Option, an die heranzutreten, die mit der Theokratie Geschäfte machten, denn die Proktoren hielten stets nach solchen Vorgängen Ausschau, nach solchen Gelegenheiten, Rebellen zu töten. Auch in diesem Fall hatten sie