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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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solche Option entschieden. Das Gleiche taten einige wenige überlebende Angehörige der Bruderschaft, ebenso viele weitere Gläubige, die sich von der Bürde religiöser Indoktrination zu befreien versuchten. Vielleicht sollte er seinen Kopf ebenfalls behandeln lassen. Sollte auch er vielleicht die Erinnerungen löschen, die ihn an die Vergangenheit fesselten, damit er endlich in die Zukunft voranschreiten konnte, für die er selbst gekämpft hatte?
    Nein.
    Er legte das Palmtop zur Seite. Diese Möglichkeit schmeckte ihm zu sehr nach Feigheit. Er war die Summe seiner Vergangenheit. Er war Commander Grant und gedachte es für den Rest seines Lebens zu bleiben, auch wenn er nie wieder als Soldat in den Krieg zog.
    »Die Editierungstechniken haben sich stark weiterentwickelt«, sagte eine Stimme. »Man kann heute tatsächlich Erinnerungen behalten und sie zugleich ihres emotionalen Gehalts entledigen. Man kann Akzeptanz einprogrammiert bekommen, alte Gewohnheiten löschen und die Impulsleitung von Freude und Schmerz neu anlegen lassen.«
    Grant nahm erneut einen Schluck Bier und blickte nach links zu einem breiten Streifen scheinbar leeren Balkons hinüber. »Ich würde gern sagen: Nimm doch wie alle anderen die Tür! Dazu müsste ich sie jedoch vergrößern lassen.«
    Amistad tauchte auf, was aussah, als würde eine skorpionförmige Flasche mit Eisenfarbe gefüllt. Die Drohne streckte eine lange Klaue zu Grant hin aus, senkte sie, schloss die Krallenspitzen sachte um das Palmtop und hob dieses an, um es in Augenschein zu nehmen. »Ich kenne jemanden, dessen Verstand editiert wurde, als er noch ein Kind war – weil seine Mutter ihm Schmerz ersparen wollte. Erst als er diese Erinnerungen und den dazugehörigen Schmerz neu integrierte, wurde er heilund ganz.« Die Drohne legte das Palmtop wieder hin. »Ich habe meinen eigenen Verstand selbst editiert, um geistige Stabilität wiederherzustellen, und erst als ich diese Einschnitte allmählich wieder schloss und im Verlauf dessen den Schmerz absorbierte, fand ich den Weg zu meinem künftigen Selbst.«
    »Banalphilosophie – ich hätte von dir mehr erwartet, Amistad.«
    »Schmerz zu löschen, das löscht auch die damit verbundenen Lektionen.«
    Grant zuckte die Achseln und trank einen Schluck Bier. »Was möchtest du von mir?«
    »Jeremiah Tombs ist unterwegs«, berichtete ihm die Drohne. »Nachdem er ein paar abschließende Pfennigmuscheln gezeichnet hatte, gewann er die Fähigkeit zurück, wieder aufzustehen, und entkam anschließend aus dem Sanatorium.«
    »Entkam?«
    »Die einzige Fiktion, die wir für ihn erzeugt haben. Er glaubt, er hätte Sanders umgebracht, wäre entkommen und nun unterwegs zurück in die Theokratie.«
    »Dann steht ihm der eine oder andere Schock bevor.«
    »Genau.«
    »Denkst du, dass diese Schocks seine geistigen Blockaden auflösen?«
    »Das denke ich, aber wir müssen dafür sorgen, dass er auch lange genug am Leben bleibt, damit es funktioniert.«
    »Müsste für dich leicht zu schaffen sein.«
    »Ja, obwohl Attentäter des Aufräumkommandos auf seine Spur gehetzt wurden.«
    Grant blickte zur Drohne hinauf. »Ich habe keinen Streit mit denen.«
    »Den hat auch die Runcible-KI nicht, was der Grund ist, warum ihnen so lange erlaubt wurde, ihre Aktionen fortzuführen – manche Menschen sind unverbesserlich.«
    »Yeah, okay, aber du hast mir immer noch nicht erklärt, warum du hier bist.«
    »Ich möchte, dass du Tombs führst und beschützt, und ich möchte, dass er sich an dich erinnert«, sagte die Drohne. »Deine Anwesenheit wird ihm helfen, den Weg zur geistigen Gesundung zu finden. Er wird seinen Schmerz neu integrieren und ganz werden, und wir finden dann endlich heraus, was ihm der Techniker in die Gedanken eingepflanzt hat.«
    »Du scheinst zuversichtlich.«
    »Die Mathematik des Wahnsinns«, sagte die Drohne obskur.
    »Und du nimmst seinen Verstand wieder auseinander.«
    »Nimmst du den Auftrag an?«
    Grant warf einen Blick auf sein Palmtop, trank das Bier aus und stellte die Flasche weg. »Natürlich tue ich das – ich muss etwas tun.«
    Shree Enkara blickte durchs Fernglas zu dem Wohngebäude hinüber, bemerkte die Schaumsteinbauweise der Mauern, senkte den Blick zu den Kameras über dem glasumfassten Haupteingang oberhalb der überdachten Straße und betrachtete schließlich das Logo der Box, wo die Signale der Kameras zusammenliefen. Alte Sicherheitstechnik: Panzerglas, statische Kameras, Handflächenschlösser, bewaffneter

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