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Die Vergessenen

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Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zwischen den Guano-Lagerbuchten hindurch, um dem Teufel zu entrinnen, schien ihn die letzten Kräfte gekostet zu haben. Er fiel in einer Umgebung auf die Knie, die ihm vertrauter erschien – eine Reihe von Lastwagen mit offenen Ladepritschen zu seiner Rechten und eine kleine Proktoren-Wachstation zu seiner Linken, vernachlässigt, die Fenster eingeschlagen.
    Er rang nach Luft, um wieder ein wenig Kraft in die Glieder zu bekommen, und fragte sich, ob ihm der Luftvorrat frühzeitig ausging. Dieser Gedanke bewegte ihn, sich schwankend aufzurappeln und auf die kurze Straße zuzugehen, die zur Innenstadt hinaufführte.
    Früher war die Straße beiderseits von Arbeiterhütten gesäumt gewesen, aber jetzt wurden neue Bauten auf den Schaumsteinflößen errichtet – lange, niedrige Gebäude, die anhand eines Exemplars zu urteilen, dem bislang das Dach fehlte, dicht mit komplexen und schon arbeitenden Maschinen gefüllt waren. Weitere Maschinen arbeiteten zwischen diesen Hütten und waren perfekt dafür konstruiert worden, Schaumsteinblöcke zu verlegen oder Blasenmetallträger und Dachplatten aus Kunststofflaminat zurechtzuschneiden und am Zielort zu verschweißen. Und zwischen diesen erblickte Jem inmitten des ganzen Wahnsinns etwas, was ihm umfassend bestätigte, dass hier in Godhead die Hölle ausgebrochen war.
    Skelette wandelten zwischen den neuen Bauten: die Skelette von Männern und Frauen, überzogen jedoch mit glänzendem Chrom. Sie arbeiteten daran, die Maschinen der Verdammnis hier auf Masada zu errichten. Erst dieser Anblick machte ihm den Ausdruck von den »gottlosen Maschinen« vollkommen begreiflich. Es war nicht so, dass die Polis die Realität Gottes leugnete, sondern dass sie die Legionen der Hölle in ihren Stahlherzen akzeptierte und begrüßte. Als sich eine dieser Maschinen umdrehte und Jem aus vollkommen menschlichen Augen in ihrem Silberschädel musterte, erschien ihm das grauenhafter, als es leere Augenhöhlen oder ein satanisches rotes Leuchten getan hätten. Er lief schwer atmend weiter, so schnell er konnte, und was er sah, wirkte hinter einem Tränenschleier verschwommen.
    Wie konnte das alles wahr sein? Wie war es möglich, dass dies alles der Wahrheit entsprach?
    Die Straße verlief über eine Rampe zu dem dickeren Schaumsteinfloß der Innenstadt hinauf, und obwohl Jem abgeschirmte Fußwege als das erkannte, was sie waren, und Eindrücke von alten Gebäuden erhaschte, waren die meisten Bauten hier neu. Er erkannte nur so wenig wieder. Was war hier geschehen?
    Nach zwanzig Metern auf dieser Straße bemerkte er einen Mann und eine Frau, die auf ihn zutrabten. Er wandte sich zur Mündung einer Nebenstraße um; auch dort war jemand, und ein weiterer näherte sich ihm von hinten. Er ging weiter und hielt sich dabei an den Straßenrand, um den beiden Personen vor ihm auszuweichen, aber sie kamen direkt auf ihn zu – er war ihr Ziel.
    »Ich vermute, dass Ihnen hier einige Veränderungen aufgefallen sind, Proktor Tombs«, sagte der Mann und blieb vor ihm stehen.
    »Wer sind … Sie?«, brachte Jem hervor und musterte den Mann, wobei ihm auffiel, dass dieser keine Atemmaske hatte, dafür aber einen Metallverstärker seitlich am Schädel.
    »Ich heiße David Tinsch«, antwortete der Mann. »Sie kennen mich jedoch nicht. Mein Sohn und ich, wir wurden zur Arbeit an die Teiche geschickt, nachdem jemand wie Sie mich ketzerischer Rede beschuldigt hatte, mich verprügeln ließ und mir dann alles wegnahm, was ich besaß. Mein Sohn starb an Septikämie, als die Skole-Anbringung nicht richtig funktionierte.«
    Jem hätte am liebsten gesagt, dass es ihm leidtat, verfluchte sich dann aber für diese Regung.
    Tinsch warf einen Blick zur Seite, zu der Stelle, wo die Frau jetzt auf dem Pflaster hockte und eine Art Steuertafel auf aufgeklappten Beinen vor sich stehen hatte.
    »Wo ist sie?«, fragte er.
    »Hierher unterwegs, und das schnell«, antwortete sie.
    Jem starrte sie an. Sie trug das Negativ einer Proktorenuniform, über die sich von den Achselhöhlen bis zu den Füßen Dämonenschrift zog. Er erkannte die Schrift sofort. Wie kam es dazu, obwohl er sich selbst in diesem Augenblick noch nicht wieder die Schrift der Satagenten vorstellen konnte? Wurde er in die Hölle absorbiert?
    »Wie lange noch?«, fragte Tinsch.
    Ein widerhallendes Krachen drang aus der Ferne herüber, anscheinend auf dem Weg, den Jem genommen hatte. Er blickte hinter sich und sah eine Lichtsäule über den Häusern in den Himmel schießen.

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