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Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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beschleunigten eine nach der anderen in seine Richtung; das Ganze verlief so, als steckten sie in einem rotierenden Munitionszylinder und würden nacheinander in einen unsichtbaren Waffenverschluss eingeführt. Die erste Kugel krachte neben Milohs Schädel in das Metallgestänge des Krans, ehe er auch nur Gelegenheit fand, sich zu ducken oder zusammenzuzucken. Dann schlugen die übrigen Kugeln ringsherum ein, und Splitter von Metall und zerplatzten Gewehrgeschossen füllten die Luft wie ein Schwarm Sprawne. Miloh konnte seine Augen abdecken und versuchte in Deckung zu kriechen, war dabei jedoch überzeugt, dass eine dieser Kugeln ihn alsbald treffen würde. Allerdings schlug dann die zehnte Kugel ein und es war alles vorüber. Er suchte sich nach Verletzungen ab und fand nichts dergleichen, was unmöglich schien, wenn man an all das Metall dachte, das durch die Gegend geflogen war.
    »Geschützt«, sagte er, während das Herz in seiner Brust donnerte.
    Er schluckte trocken, packte dann seine Wasserflasche mit zitternder Hand, öffnete sie und nahm einen Schluck. Auf einmal war er schlicht nur dankbar dafür, noch zu leben, und die Erleichterung spülte den ständigen Zorn hinweg, zumindest für den Augenblick. Er dachte über das nach, was er gesehen hatte. Irgendwo in der Nähe trieb sich eine Poliskriegsmaschine herum, getarnt durch Chamäleonware. Vielleicht erklärte das auch die Reaktionen, die zuerst Deela und dann Tombs selbst gezeigt hatten. Tombs hatte im Begriff gestanden, ihr die Harpune in den Körper zu jagen, aber die Waffe funktionierte nicht. Deela musste das Ding gesehen haben und war deshalb geflohen, statt die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen und die Scheißeaus Tombs zu prügeln, weil er sie bedroht hatte – und Miloh wusste, dass sie dazu leicht fähig gewesen wäre. Dann musste auch Tombs die Maschine gesehen haben, woraufhin er Reißaus nahm. Wie es schien, umwaberte etwas verdammt Furchterregendes dieses Ding, was immer …
    Miloh erstarrte und spürte, wie ihn ein Schauer durchlief. Der Kran ragte von einem Ladesteg auf, der derzeit nicht in Betrieb war, sodass er auch nicht mit Strom versorgt wurde. Der Kran war außerdem eine schwere Konstruktion und solide in dem Steg verankert, der seinerseits ausreichend stark ausgelegt war, um die Belastungen durch das magnetische Docksystem zu verkraften, das Frachtschiffe von einer halben Million Tonnen heranzog. Es war heute windstill und das Meer ruhig. Somit kam nur eine Ursache für die Schwingungen infrage, die Miloh aus der Kastensektion spürte, auf der er hockte, sowie dem Doppel-T-Träger, an dem sein Rücken lehnte: etwas Schweres kletterte am Kran entlang zu ihm herauf, und er wusste, er würde sehr bald sterben.
    Was konnte er schon gegen etwas ausrichten, das unsichtbar war und fähig, seine Geschosse in der Luft abzufangen und mit Kugeln zu spielen wie mit Murmeln, ehe es sie auf ihn zurückfeuerte? Er blickte am Kran hinab und entdeckte im ersten Augenblick nichts. Dann tauchte dort eine Verschiebung auf, dann hin und wieder eine prismenartige Verzerrung, ein kurzer Eindruck von etwas Schwarzem und Scharfem, wiederum abgelöst von einem schlängelnden Metalltentakel. Das Ding konnte sich völlig unsichtbar machen, wie Miloh wusste – es scherte sich nur nicht darum, sich vor ihm zu tarnen. Er überlegte, darauf anzulegen und das Gewehr völlig leer zu feuern, fürchtete aber, dass es die Kugeln nur zu ihm zurückschickte.
    »Ich bin keine Bedrohung«, sagte er. »Ich probiere es nicht wieder.«
    »Ja«, zischte eine Stimme zu ihm herauf.
    »Solltest du nicht bei Tombs bleiben? Die Innenstadt wird für ihn nicht sicher sein.«
    Das Ding setzte unerbittlich seinen langsamen Anstieg fort. Miloh zielte mit dem Gewehr darauf, zögerte aber. An welche Regeln hielt sich dieses Ding? Wenn er absichtlich darauf schoss, bot er ihm damit eine Ausrede, ihn zu töten? War das der Grund, warum es ihm seine Position verraten hatte? Abrupt hob er das Gewehr an, schaltete die Sicherung ein, warf das Magazin aus und steckte es sich in die Tasche.
    »Ich bin mit der Sache fertig«, sagte er und blickte erneut forschend zu dem Ding hinab.
    »Ja«, zischte dieses und stieg wie ein Expressfahrstuhl aus der Hölle zu ihm empor.
    Schwarze Stacheln und Metall, das sich wie Squerme schlängelte, schneidendes Metall, Nerven, die an- und ausgingen wie eine Partybeleuchtung, ein einzelnes rotes Auge, das ihn unbewegt musterte. Für bloße Sekunden oder

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