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Die Vergessenen

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Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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sich mit einer Schulter daran. Er hielt das Messer bereit, um jeden neuen Angriff abzuwehren, aber es schien, als wäre er unbedeutend geworden. Der Neuankömmling wandte ihm den Rücken zu. Kurze graue Haare krönten eine breitschultrige, langgliedrige Statur in einem flötengrasfarbenen Kampfanzug. Die Scheibenpistole hielt der Mann mit ruhiger Hand fest auf Tinschs Stirn gerichtet. Einer der übrigen Männer lag am Boden und drückte sich die Hände auf den Bauch, wobei ihm das Blut zwischen den Fingern hervorrann. Der andere Mann, der Jem angegriffen hätte, stand auf den Beinen, eine Hand um den Griff des Messers geschlossen, das in seiner Schulter steckte, während seine andere Hand zu den Granaten am Gürtel hinabwanderte. Jem schloss die Augen. Sie würden jetzt alle sterben, aber das war in Ordnung, solange sich nur der mit der Pistole nicht umdrehte, sein Gesicht nicht zeigte.
    Nach einer Unterbrechung fuhr der Neuankömmling fort: »Dachtet ihr wirklich, ihr könntet das tun? Habt ihr gehört, wie eure letzten beiden Hartfelder zusammengebrochen sind? Habt ihr ein weiteres dramatisches Feuerwerk gezeigt bekommen?«
    Jem öffnete die Augen. Tinsch und die beiden Antiproktoren hatten alle eine Hand auf den Granaten am Gürtel liegen, und der Mann mit der Bauchwunde drückte immer wieder verzweifelt mit blutigem Finger auf eine Taste. Alle drei Sprengsätze explodierten einfach nicht.
    »Mir ist klar, dass ihr dachtet, Miloh würde sie lange genug aufhalten, um eure Hartfelder als Abwehrmechanismus aufzubauen.« Der Grauhaarige schüttelte traurig den Kopf. »Guter Plan, aber ihr habt keine Vorstellung von dem, womit ihr es hier zu tun habt. Sie hat sich dort draußen gespalten und eine Hälfte ihres Selbst losgeschickt, um sich mit Miloh zu befassen, während die andere Hälfte Tombs bis hierher beschattete. Und sie brauchte das im Grunde nicht zu tun – Miloh stellte keine echte Gefahr dar, und ihr tut es ebenso wenig.«
    »Sie ist hier?«, fragte Tinsch, und seine Hand fiel schließlich von der Selbstmordbombe herab.
    »Sie spielt schon die ganze Zeit mit euch.« Der Grauhaarige deutete auf die neben ihrer Konsole ausgestreckte Frau. »Sie hat eure Hartfelder von innen abgeschaltet, während die andere Hälfte das Feuerwerk lieferte. Ich habe dieses Spiel jedoch beendet und hoffe einfach, dass es genug ist – dass die KI euch gestatten wird, mit dem Leben davonzukommen.«
    Der Mann mit der Bauchwunde lag im Sterben, wie Jem erkannte; das Gesicht war totenbleich und unter den Augen blau angelaufen, die schwarze Kleidung nass von Blut, die Dämonenschrift rot verfärbt, wie er dort in einer sich ausbreitenden Blutlache lag. Eine Arterie war zerfetzt worden. Wo hatte Jem schon mal eine solche Verletzung gesehen? Woher wusste er es?
    Grauhaar legte kurz den Kopf schief. »Scheint, dass ihr am Leben bleibt.«
    Der Messerstecher beschleunigte auf einmal rückwärts und knallte auf der anderen Straßenseite an eine Wand. Er schrie, und das Messer in der Schulter sank tiefer in den Körper, bis der Griff ganz in ihm verschwunden war. Merkwürdigerweise trat kein Blut aus der Wunde, und dann hing der Mann dort, an der Schulter festgenagelt, und strampelte mit den Beinen, die Füße einen Meter über der Straße.
    Tinsch kam als Nächster an die Reihe. Sein Arm stieg unter Zwang hoch, wenngleich er dagegen anzukämpfen schien. Die Hand führte einen glatten Bogen aus, während der übrige Körper sich wand und zappelte. Die Hand klatschte schließlich seitlich an den Kopf und fiel wieder herab. Er trug jetzt einen zweiten Verstärker, auf der Seite gegenüber dem ersten, und fiel unvermittelt auf die Knie.
    »Nein … bitte«, sagte er und brach einen Augenblick später in Tränen aus.
    Die Dämonen suchen die eigenen Anhänger heim, wurde sich Jem klar. Die Hölle bot keine Erleichterung, keine bessere Behandlung für die eigenen Bundesgenossen. Er wandte den Blick auf die Frau. Sie setzte sich gerade auf, die Konsole auf dem Schoß, die Augen wie zur Meditation geschlossen. Jem konnte ihre Hände nicht sehen, denn die Handgelenke endeten an den Seiten der Konsole, schienen damit verwachsen.
    Jetzt der Verletzte. Er setzte sich in der Blutlache auf, und die Lache schien zu schrumpfen, während Farbe in das Gesicht zurückkehrte, das gleichzeitig zu einer Miene des Grauens erstarrt war. Als das Blut schließlich ganz verschwunden war, schien etwas an seinen Füßen zu geschehen, und er sank bis zu den Knöcheln in

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