Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vergessenen

Die Vergessenen

Titel: Die Vergessenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
den Straßenbelag. Er blickte hinab, und das Grauen verwandelte sich in das Entsetzen der Erkenntnis, während er sich zu bewegen versuchte und auf den Rücken kippte, die Knie in der Luft.
    »Neiiin!«, jammerte Tinsch. »Bitte, es tut mir leid …«
    »Ihr bleibt am Leben«, sagte Grauhaar. »Am Leben.«
    Er drehte sich zu Jem um, das Gesicht deutlich hinter einem praktisch unsichtbaren Visier zu erkennen: ein hartes Gesicht, mattgrüne Augen, eine Narbe über der Wange, die sich bis zum Ohrläppchen erstreckte, von dem ein Stück fehlte. Alles wurde jetzt vollkommen klar. Hier stand der Soldat vor ihm. Jem sprang auf und rannte los, ohne weiter nachzudenken. Das ständige Murmeln im Hinterkopf wuchs zu einem Knurren an, als nähmedort ein Motor Fahrt auf. Grauenhafte, schmerzliche Erinnerungen heischten im Gewölbe seiner Gedanken lärmend um Aufmerksamkeit, und er erkannte unvermittelt die Wahrheit.
    Es waren alles Lügen.
    Alles, was er gesehen hatte, war verformt gewesen, denn war es nicht der Fürst der Lügen persönlich, der seinen Glauben zu zerstören trachtete? Von dem Augenblick an, als Sanders diese dämonische Prothese über seinen Schädel gestülpt hatte, versorgte ihn diese mit ihrer Galle, ihren Erfindungen, ihrem Wahnsinn direkt aus der Hölle. Sie hatte seine Welt mit falschen Visionen überzogen, die von den Folgen einer erfolgreichen Rebellion und eines Eingreifens der Polis hier handelten.
    Er musste sie loswerden.
    Das Tagreb hockte inmitten des Flötengrases wie eine Eisenlilie, die sich auf einem unkrautüberwucherten Teich geöffnet hatte. Hier bildete es einen Stützpunkt, aus dem heraus die KI und das Personal ihre taxonomischen und genetischen Analysen der Fauna und Flora Masadas ausführen, eine Datenbank aufbauen und auf dieser Grundlage den planetaren Almanach erstellen konnten. Sobald das geschafft war, sollte die Basis als festes Inventar für die Bewohner des Planeten zurückbleiben, während die spezialisierten Forscher ihre Arbeit beendeten und zum nächsten Planeten weiterzogen, zur nächsten Landung eines Tagreb. Allerdings entwickelten sich die Spezialisten hier schon selbst zu so etwas wie festem Inventar, waren die Lebensformen Masadas doch so faszinierend wie ein Unfall der Einschienenbahn.
    Chanter näherte sich der Basis von unten und betrachtete interessiert die seismischen Bilder auf seinem Monitor. Er erkannte darauf die verschiedenen in den Boden vorgetriebenen Rohre, die in Entnahmeköpfen endeten, mit deren Hilfe das Tagreb Wasser für die Eigenversorgung einsaugte wie auch fürden Fusionsreaktor und für die Aufspaltung, um Sauerstoff zu gewinnen. Soweit Chanter wusste, wurden diese Rohre oft eingezogen, wenn sich zu viele Trikonusse versammelten, und an anderer Stelle wieder ausgefahren. Auch Sensorenköpfe waren hier unten zu sehen sowie die flachen, scannersicheren Schnittstellen von Hartfeldern, zwischen die Viehtreiber eingeführt waren, um die Trikonusse abzuwehren.
    Einige Zeit nach Ankunft des Tagreb auf der Oberfläche hatte seine KI entschieden, dass Beweglichkeit auf diesem Planeten eine gute Idee sein könnte, und so Laufketten aus Blasenmetall konstruiert. Der Abwehrperimeterzaun war mit einem vier Meter breiten Schaumsteinring unterlegt, unter dem sich Trikonusse wie Rankenflusskrebse sammelten. Vier gewaltige Speichen verbanden diesen Umschließungsring mit dem Tagreb, das sich so zusammen mit seinem Fundament bewegte. Das Forschungs-Tagreb ähnelte einem lebenden Organismus, der seine Unterseite fortwährend veränderte, damit sie nicht gebissen wurde, während er langsam auf der Planetenoberfläche dahinfuhr. So etwas wie ein Seestern vielleicht oder ein Seeigel – wobei Chanter an das Letztgenannte nicht gern dachte, als der Verstand dieser speziellen Kreatur endlich Kontakt zu ihm aufnahm.
    »Ich habe mich schon gefragt, wann du uns einen Besuch abstatten würdest.« Die Tagreb-KI, die den Namen Rodol trug, meldete sich aus seinem Kommunikator. »Leonardo da Vinci erfand Maschinen, erkundete die Struktur des menschlichen Körpers und noch weitere Strukturen und malte und zeichnete mit großer Kunstfertigkeit. Er lebte jedoch in einer Zeit, in der die falsche Trennung zwischen Kunst und Wissenschaft noch nicht fest etabliert war.«
    KIs redeten miteinander, wie Chanter wusste. Sie redeten viel miteinander.
    »Warum behauptest du, diese Trennung wäre falsch?«, fragte er, da ihm nichts anderes einfiel.
    »Kunst ist nur eine andere Art, die

Weitere Kostenlose Bücher