Die verlorene Bibliothek: Thriller
Netzwerktechnik zu suchen, musste Emily sich wieder auf das konzentrieren, wovon sie Ahnung hatte: Geschichte. Wenn Arno sie in die richtige Richtung schubsen wollte, dann mit Hilfe der Geschichtswissenschaft.
Und für diese Aufgabe bot die Bibliothek des Oriel College weit bessere Ressourcen als das Internet. Emily minimierte den Browser auf dem Bildschirm. Es war besser, mit dem Onlinekatalog der Bibliothek zu arbeiten. Sie hatte ihn noch nie benutzt. Früher hatte sie stets nur mit dem zentralen System der Universität in der Bodleian Library gearbeitet, doch wenn man ein elektronisches Katalogsystem kannte, dann kannte man sie alle.
Und es war tatsächlich dieser simple, praktische Gedanke, der Emily Wess an ihr Ziel führte.
Im selben Augenblick, als der Gedanke in ihrem Geist Gestalt annahm, verschwamm die Welt um sie herum. Ihr Geist kehrte zu einem sonnigen Frühlingstag auf dem Campus des Carlton College zurück. Sie saß an einem Computerterminal und suchte im Katalog der Gould Library nach einem Band über politische Verschwörungen im Rom des 2. Jahrhunderts. Ihr gegenüber hockte Arno Holmstrand an einem ähnlichen Terminal. Der Professor hatte an diesem Stück moderner Technik vollkommen fehl am Platze gewirkt, und doch waren seine Finger geschickt über die Tastatur geflogen. Daran hatte Emily sich auch unmittelbar nach Arnos Tod erinnert, und jetzt kehrte diese Erinnerung wieder zurück; nur der Kontext hatte sich vollkommen verändert.
» Ist Ihnen je aufgefallen «, hatte Arno sie gefragt, » wie viele Universitäten auf der Welt die gleiche archaische Software verwenden? Zwar gibt es Versionsunterschiede, aber im Kern ist es stets dasselbe .«
Emily sah alles so klar und deutlich, als würden sie und der berühmte Professor wie damals wieder beisammensitzen.
» Ich habe diese verrückten Geräte schon in Oxford benutzt «, hatte Holmstrand gesagt, » in Ägypten und jetzt in Minnesota, und nicht ein einziges Mal haben die Dinger so funktioniert, wie sie funktionieren sollen .« Er hatte sich ein wenig vorgebeugt und Emily angestrahlt. » Es ist dasselbe System, Emily, überall .«
Und Emily wusste es.
All die Verwirrung der letzten Stunden war wie weggeblasen. Emily schaute auf den Bildschirm und sah den Weg hinein.
KAPITEL EINHUNDERTACHT
8:00 U HR GMT
Emily schlug das Herz bis zum Hals, als sie von neuer Aufregung erfüllt auf den Bildschirm starrte. Der Onlinekatalog der Bibliothek des Oriel College erfasste die Sammlung vor Ort, aber er war auch Teil des zentralen Systems aller Bibliotheken in Oxford, des Oxford Libraries Interface System oder kurz: OLIS. Die Universität hatte die Software zwar ihren speziellen Bedürfnissen angepasst, aber wie überall auf der Welt basierte der Katalog auf einem Programmpaket mit Namen GEOWEB, einem schier unglaublich unhandlichen Katalogsystem, mit dem Emily schon an den unterschiedlichsten Orten gekämpft hatte. Auch ihre Heimuni, das Carleton College, setzte die Software ein, auch wenn es vor kurzem in ›The Bridge‹ umbenannt worden war, ›Die Brücke‹, um die Verbindung des Carleton College zu seinem Konkurrenten am anderen Flussufer der kleinen Stadt zu symbolisieren. Aber wie auch immer man es nannte, die zugrunde liegende Technologie blieb dieselbe.
Nun wusste Emily, dass Arnos scheinbar so beiläufige Worte vor all diesen Monaten Teil ihrer Vorbereitung gewesen waren. » Ist Ihnen je aufgefallen, wie viele Universitäten auf der Welt die gleiche archaische Software verwenden? Zwar gibt es Versionsunterschiede, aber im Kern ist es stets dasselbe. Ich habe diese verrückten Geräte schon in Oxford benutzt, in Ägypten und jetzt in Minnesota, und nicht ein einziges Mal haben die Dinger so funktioniert, wie sie funktionieren sollen. Es ist dasselbe System, Emily, überall .« Damals war ihr das nur wie Smalltalk erschienen, doch nach allem, was Emily inzwischen gelernt hatte, war sie fest davon überzeugt, dass Arno ihr etwas ganz Bestimmtes hatte sagen wollen.
Er hat mir den Weg hinein gezeigt .
Emily zog den Stuhl näher an den Tisch heran, legte die linke Hand auf die Tastatur und die rechte auf die Maus. Das vertraute blau-weiße Interface des OLIS-Katalogs erschien auf dem Bildschirm und wartete auf ihre Eingabe. Und was Athanasius über die Zugriffsfähigkeit des Bewahrers erzählt hatte, traf auch auf diesen Katalog zu. Er war ständig verfügbar und von überall, von jedem Rechner, jedem Smartphone und jedem Tablet-PC. Das war
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