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Die Verlorenen von New York

Die Verlorenen von New York

Titel: Die Verlorenen von New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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er Julie. Sie saß im Sessel, das Gesicht ihm zugewandt, den Blick jedoch starr auf die Wohnungstür gerichtet. Alex wandte den Kopf, um zu sehen, was da so interessant war, aber die Tür sah aus wie immer.
    »Ja«, sagte Julie. »Jetzt ist es Tag.«
    »Ich kann mich erinnern, dass ich was getrunken habe«, sagte Alex. »Wie lange ist das her?«
    »Ungefähr drei Stunden«, sagte Julie. »Brauchst du noch ein Aspirin?«
    Alex schüttelte den Kopf und merkte, dass ihm davon schwindelig wurde. »Erst mal nicht«, sagte er. »Hoffentlich habt ihr beide euch nicht angesteckt. Sind denn noch Tabletten übrig?«
    »Genug«, sagte Julie. »Und wir haben uns nicht angesteckt, sonst wären wir jetzt schon krank.«
    »Warum starrst du denn so auf die Tür?«, fragte Alex. »Erwartest du Besuch?«
    »Quatsch, natürlich nicht«, sagte Julie. »Vielleicht will ich einfach mal was anderes anstarren als dich.«
    »Das kann ich dir nicht verdenken«, sagte Alex. »Schläft Bri noch?«
    Julie löste ihren Blick von der Tür. »Bri ist nicht da«, sagte sie.
    »Was soll das heißen, sie ist nicht da?«, fragte Alex. »Wo ist sie denn?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Julie.
    Alex mühte sich ab, die Arme aus dem feuchten, stinkenden Schlafsack zu befreien. »Aber wo kann sie denn sein?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte Julie wieder. »Es wird schon nichts passiert sein. Schlaf jetzt noch ein bisschen, und wenn du aufwachst, ist sie vielleicht schon wieder da.«
    »Ich bin nicht müde«, sagte Alex. »Wo zum Teufel ist Bri?«
    »Ich hab doch gesagt, ich weiß es nicht«, antwortete Julie. »Gestern, als es wieder Strom gab, wollte sie unbedingt zur Kirche gehen und der Heiligen Jungfrau für deine Rettung danken. Und eine Kerze für dich anzünden, weil doch dein Geburtstag war. Ich hab ihr gesagt, sie soll nicht gehen. Wirklich, Alex. Ich hab ihr gesagt, die Heilige Jungfrau wüsste auch so, wie dankbar wir sind, dazu müsste sie nicht extra zur Kirche gehen. Aber Bri meinte, es sei ein Wunder, dass du wieder gesund geworden bist, und außerdem sei dein Geburtstag und Mamá würde an jedem unserer Geburtstage eine Kerze anzünden.«
    »Du Idiot«, rief Alex. »Warum hast du sie nicht aufgehalten?«
    »Ich hab’s doch versucht«, schrie Julie. »Aber Bri ist genau wie Papá. Wenn die sich was in den Kopf gesetzt hat, lässt sie sich nicht mehr davon abbringen. Ich hab ihr gesagt, sie soll hierbleiben, ich würde an ihrer Stelle gehen, aber sie hat gesagt, sie wollte auch gleich noch zur Beichte gehen, damit sie Weihnachten das Abendmahl empfangen kann. Und es ging ihr doch viel besser. Du kannst dir nicht vorstellen, was sie alles für dich getan hat, als du krank warst. Ich dachte, vielleicht hat die Heilige Mutter noch ein zweites Wunder bewirkt und Bri gesund gemacht. Und es gab ja auch wieder Strom. Sie brauchte nur zur Kirche zu gehen und dann mit dem Aufzug wieder hochzufahren.«
    »Und warum bist du nicht mit ihr zusammen hingegangen?«, fragte Alex. »Du hättest auf sie aufpassen können.«
    »Ich hab auf dich aufgepasst«, sagte Julie.
    Alex fummelte an seinem Schlafsack herum, auf der Suche nach dem Reißverschluss. »Wie lange ist sie schon weg?«, fragte er. »Wie spät ist es?«
    »Ungefähr eins«, sagte Julie. »Sie ist jetzt seit fast vierundzwanzig Stunden weg.«
    »O Gott«, sagte Alex. »Da kann sie ja sonst wo sein. Hast du wenigstens schon mal nach ihr gesucht?«
    »Ich konnte dich doch nicht allein lassen«, sagte Julie.
    »Aber jetzt kannst du es«, sagte Alex. »Nimm die Kerze mit und schau im Treppenhaus nach.«
    »Kommst du denn alleine klar?«, fragte Julie.
    »Bestens«, gab er barsch zurück. »Und jetzt such nach Bri.«
    Julie nickte. Sie nahm die Kerze und lief aus der Wohnung.
    Nachdem Alex sich endlich aus dem Schlafsack befreit hatte, streifte er seine Sachen ab und zog frische an. Er stank immer noch, aber das war jetzt nicht wichtig.
    Er ging in die Küche und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser. Am ganzen Körper zitternd suchte er nach der Aspirinpackung und schluckte noch einmal zwei Pillen. Der Weg zurück ins Wohnzimmer kam ihm unendlich vor. Jeder Schritt fühlte sich an, als müsste er den Mount Everest erklimmen, und als er sich schließlich aufs Sofa fallen ließ, klopfte sein Herz wie verrückt.
    Ich habe seit Tagen nichts mehr gegessen, dachte er. Das Problem war nur, dass er es wohl kaum noch ein zweites Mal bis in die Küche schaffen würde, um sich etwas zu essen zu holen. Gerade

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