Die Verlorenen von New York
brauche keine Mutter.«
»Mamá!«
»Alex, ich bin’s, Bri. Ich bin bei dir, und Julie auch. Komm, Alex, nimm noch einen Schluck. Uns zuliebe.«
»Nein! Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten. Ich muss überhaupt nichts schlucken.«
»Hör auf zu lachen, Julie. Er hat hohes Fieber.«
»Ich weiß«, sagte Julie. »Aber ich finde ihn einfach lustig.«
Lustig? Der Präsident der Vereinigten Staaten lustig? Er sollte sie wegen Hochverrats festnehmen lassen. Er wollte eine Liste machen, mit sämtlichen Gründen, warum Julie wegen Hochverrats festgenommen werden sollte, aber ihm war zu kalt, um nach einem Stift zu suchen. Er würde stattdessen ein Nickerchen halten. Vielleicht wäre ihm beim Aufwachen wieder warm.
»Komm, Alex, nur noch einen Schluck«, sagte Bri.
Aber der Präsident hörte sie schon nicht mehr.
Dienstag, 20 . Dezember
»Bri, schnell, komm her! Ich kriege Alex gar nicht mehr wach! Alex! Alex!«
Mittwoch, 21 . Dezember
»Was ist los?«, sagte Alex und versuchte sich aufzusetzen.
»Julie, komm! Ich glaube, Alex ist wach.«
»Klar bin ich wach«, sagte Alex, aber es kam ihm vor, als brächte er nur »wugga wugga« heraus.
»Alex, sieh mich an«, sagte Bri. »Weißt du, wo du bist?«
Schwierige Frage, aber in der Schule hatte er schon schwierigere beantwortet. »Zu Hause«, sagte er. Das klang jetzt überhaupt nicht mehr wie »wugga wugga«.
Bri lächelte. Alex konnte sehen, dass Bri lächelte. Alex lächelte zurück.
»Alex, wir möchten, dass du ein bisschen von dieser Suppe trinkst«, sagte Julie. »Hier, probier mal. Das ist Erbsensuppe. Die magst du doch so gern.«
Klare Gemüsesuppe mochte er eigentlich viel lieber, aber er war zu höflich, um ihr das zu sagen. Er probierte einen Schluck. Die Suppe schmeckte scheußlich. »Du bist eine lausige Köchin«, sagte er.
»Und jetzt noch einen Schluck«, sagte Bri. »Hmmm, lecker.«
Alex tat wie geheißen, auch wenn die Suppe alles andere als lecker war. »Wo sind meine Arme?«, fragte er.
»Wo sie hingehören«, sagte Bri. »Neben dir im Schlafsack.«
Das klang irgendwie einleuchtend. »Die Sonne blendet mich«, sagte er dann.
»Die Sonne scheint gar nicht mehr, Alex«, sagte Julie.
»Santa Madre de Dios« , sagte Bri. »Es gibt wieder Strom.«
Donnerstag, 22 . Dezember
»Wie spät ist es?«, fragte Alex. »Und welchen Tag haben wir heute?«
Julie lachte. »Es ist kurz vor drei«, sagte sie. »Und dein Geburtstag.«
Sein Geburtstag. Aus irgendeinem Grund war das wichtig, aber Alex wollte partout nicht einfallen, warum. »Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte er.
»Am Wochenende bist du krank geworden«, antwortete Julie. »Samstagabend. Heute ist Donnerstag, also hast du die ganze Woche über geschlafen. Am Anfang hattest du hohes Fieber, aber seit gestern scheinst du wieder halbwegs normal zu sein.«
»Grippozid«, sagte Alex.
»Was?«, fragte Julie.
»Die Grippe«, sagte Alex. »Ich muss die Grippe gehabt haben.«
»Die hast du immer noch«, sagte Julie. »Aber jetzt sieht es wenigstens nicht mehr so aus, als würdest du daran sterben.«
»So schlimm?«, fragte Alex.
Julie nickte. »Vor allem am Sonntag und Montag«, sagte sie. »Am Montag hast du vollkommen irres Zeug geredet. Dann bist du eingeschlafen, und wir konnten dich gar nicht mehr wach bekommen. Wir haben uns schreckliche Sorgen gemacht. Aber du bist von allein wieder aufgewacht, und seitdem geht es dir immer besser.«
»Hab ich Suppe gegessen?«, fragte Alex. »Irgendwie erinnere ich mich an Suppe.«
»Wir haben die Aspirintabletten gefunden und in der Suppe aufgelöst«, sagte Julie. »Du wolltest sie nicht essen, aber wir haben dir immer wieder was davon eingeflößt. Wie fühlst du dich?«
»Grauenvoll«, sagte Alex. »Als hätte mich ein Laster überrollt. Außerdem bin ich patschnass. Wieso bin ich patschnass?«
»Na ja, du hast furchtbar viel geschwitzt«, sagte Julie. »Und du hast auch ins Bett gemacht. Aber wir wollten lieber, dass du im Schlafsack bleibst, weil du dich sowieso ständig aufgedeckt hast. Sobald es dir wieder besser geht, waschen wir ihn aus und lassen ihn trocknen.«
Irgendetwas im Zusammenhang mit dem Schlafsack erinnerte Alex an Kevin. »Kevin?«, fragte er nur.
»Der ist tot«, sagte Julie. »Hast du mir jedenfalls am Freitag erzählt.«
Ja, das stimmte. Und Harvey war auch tot.
»Ich komm schon wieder auf die Beine«, sagte Alex. »Versprochen. Bald bin ich wieder so fit, dass ich für euch sorgen kann.«
Und mit
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