Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
leisten? Sie erscheinen kurz und verschwinden dann wieder, von welchem Ausgangszustand auch immer und tragen zu der Netto-Wechselwirkung bei. Obwohl also bei vielen Prozessen des Standardmodells das Higgs-Boson überhaupt keine Rolle spielt, beeinflusst der Austausch von Higgs-Teilchen alle Vorhersagen des Standardmodells, wie z.B. die Zerfallsrate eines Z -Eichbosons in Quarks und Leptonen und das Verhältnis zwischen den W - und Z -Massen. Die Größe der virtuellen Wirkungen des Higgs-Teilchens auf diese Präzisionstests der elektroschwachen Kraft hängt von seiner Masse ab. Und es zeigt sich, dass die Vorhersagen nur dann mit den Messungen übereinstimmen, wenn die Higgs-Masse nicht zu groß ist.
Der zweite (und spekulativere) Grund für die Bevorzugung eines leichten Higgs-Bosons hat mit einer Theorie zu tun, die Supersymmetrie genannt wird und der wir uns gleich zuwenden werden. Viele Physiker glauben, dass es die Supersymmetrie in der Natur gibt, und der Supersymmetrie zufolge sollte die Masse des Higgs-Bosons nahe bei der Masse des gemessenen Z -Eichbosons liegen und somit relativ leicht sein.
Unter der Voraussetzung, dass das Higgs-Boson nicht besonders schwer ist, kann man also vernünftigerweise die Frage stellen, warum man zwar alle Teilchen des Standardmodells gefunden hat, aber nicht das Higgs-Boson. Die Antwort hat mit den Eigenschaften des Higgs-Bosons zu tun. Selbst wenn ein Teilchen leicht ist, werden wir es erst dann feststellen, wenn Beschleuniger es erzeugen und entdecken können. Die Fähigkeit dazu hängt von seinen Eigenschaften ab. Schließlich würde man ein Teilchen, das überhaupt nicht wechselwirkt, nie sehen, egal wie leicht es ist.
Wir wissen eine Menge darüber, was die Wechselwirkungen des Higgs-Bosons sein sollten, weil das Higgs-Boson und das Higgs-Feld, obwohl sie verschieden sind, auf ähnliche Weise mit anderen Elementarteilchen wechselwirken. Wir wissen z.B. von den Wechselwirkungen des Higgs-Felds mit Elementarteilchen aufgrund der Größe ihrer Massen. Da der Higgs-Mechanismus für die Massen von Elementarteilchen verantwortlich ist, wissen wir, dass das Higgs-Feld mit den schwersten Teilchen am stärksten wechselwirkt. Und da das Higgs-Boson aus dem Higgs-Feld entsteht, kennen wir auch seine Wechselwirkungen. Das Higgs-Boson wechselwirkt – wie das Higgs-Feld auch – am stärksten mit den Teilchen des Standardmodells, die die größte Masse haben.
Diese größere Wechselwirkung zwischen einem Higgs-Boson und schwereren Teilchen impliziert, dass das Higgs-Boson leichter entstehen würde, wenn man mit schweren Teilchen anfinge und sie aufeinanderprallen ließe, um ein Higgs-Boson zu erzeugen. Im Hinblick auf die Herstellung von Higgs-Bosonen ist es jedoch bedauerlich, dass wir in den Beschleunigern eben nicht mit schweren Teilchen anfangen. Stellen Sie sich vor, wie der LHC Higgs-Bosonen – oder überhaupt irgendwelche Teilchen – erzeugen könnte. An den Zusammenstößen am LHC sind leichte Teilchen beteiligt. Ihre kleine Masse sagt uns, dass die Wechselwirkung mit dem Higgs-Teilchen so gering ist, dass die Rate viel zu niedrig wäre, als dass irgendein Beschleuniger, den wir bisher gebaut haben, irgendetwas entdecken könnte, wenn keine anderen Teilchen an der Entstehung eines Higgs-Bosons beteiligt wären.
Glücklicherweise gibt uns die Quantenmechanik Alternativen an die Hand. Die Produktion von Higgs-Teilchen vollzieht sich in Teilchenbeschleunigern auf eine raffinierte Art und Weise, die mit virtuellen schweren Teilchen zu tun hat. Wenn leichte Quarks zusammenstoßen, können sie schwere Teilchen erzeugen, die anschließend ein Higgs-Boson abgeben (zu dieser Herstellungsweise siehe das erste Bild in Abbildung 51). Da das W -Boson so viel schwerer als die Up- oder Down-Quarks im Innern des Protons ist, ist seine Wechselwirkung mit dem Higgs-Boson bedeutend größer. Wenn es genügend viele Zusammenstöße zwischen Protonen gibt, sollte das Higgs-Boson auf diese Weise erzeugt werden können.
Abb. 51: Drei Produktionsweisen von Higgs-Teilchen: (von oben nach unten) Higgs-Strahlung, WZ -Verschmelzung und gg -Verschmelzung.
Eine andere Möglichkeit der Erzeugung eines Higgs-Teilchens besteht darin, dass Quarks zwei virtuelle schwache Eichbosonen abgeben, die dann zusammenstoßen und ein einzelnes Higgs-Teilchen erzeugen, wie im zweiten Bild der Abbildung 51 zu sehen ist. In diesem Fall wird das Higgs-Teilchen zusammen mit zwei Jets erzeugt, die mit den Quarks
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