Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Licht erstmals begann, sich auf uns zuzubewegen, sagt uns die kosmische Mikrowellen-Hintergrundstrahlung auch etwas über das Universum, durch das das Licht wandern musste. Wenn sich das Universum in den letzten 13,75 Milliarden Jahren verändert hätte oder wenn seine Energie anders als erwartet gewesen wäre, sagt uns die Relativitätstheorie, dass das den Pfad des Lichtstrahls beeinflusst hätte und folglich auch die gemessenen Eigenschaften der gemessenen Strahlung. Da es sich um eine so empfindliche Messung des Energieinhalts des heutigen Universums handelt, vermittelt der Mikrowellen-Hintergrund Informationen darüber, was das Universum enthält. Das umfasst die dunkle Materie und die dunkle Energie, die wir nun betrachten werden.
Das Herz der Finsternis
Zusätzlich zur erfolgreichen Bestätigung der Inflationstheorie präsentierten die CMB-Messungen einige wichtige Rätsel, die Kosmologen, Astronomen und Elementarteilchenphysiker jetzt lösen wollen. Die Inflation weist uns zwar darauf hin, dass das Universum flach sein sollte, aber sie sagt uns nicht, wo sich die Energie jetzt befindet, die erforderlich ist, damit es flach ist. Dennoch können wir anhand von Einsteins Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie die Energie berechnen, die notwendig ist, damit das heutige Universum flach ist. Es stellt sich heraus, dass die bekannte sichtbare Materie alleine nur vier Prozent der erforderlichen Energie bereitstellt.
Ein weiteres Rätsel, das schon auf die Notwendigkeit von etwas Neuem hingedeutet hatte, betraf die Winzigkeit der Fluktuationen von Temperatur und Dichte, die COBE gemessen hatte. Wenn man nur die sichtbare Materie und solche winzigen Störungen annimmt, hätte das Universum nicht lange genug existiert, um den Störungen zu gestatten, groß genug zu werden, damit sich Strukturen bilden konnten. Die Existenz von Galaxien und Galaxiehaufen in Kombination mit der Winzigkeit der gemessenen Fluktuationen deutet auf die Existenz von Materie hin, die noch niemand direkt gesehen hatte.
Tatsächlich wussten die Naturwissenschaftler bereits lange vor COBEs Mikrowellenstrahlungsergebnissen, dass eine neue Art von Materie namens dunkle Materie existieren sollte. Weitere Beobachtungen, denen wir uns gleich zuwenden werden, hatten bereits darauf hingedeutet, dass es zusätzliche unsichtbare Materie geben müsse. Dieser geheimnisvolle Stoff, der dunkle Materie genannt wurde, übt zwar Gravitationskräfte aus, wechselwirkt aber nicht mit Licht. Da er weder Licht abstrahlt noch absorbiert, ist er unsichtbar – und nicht dunkel. Die dunkle Materie (wir werden den Ausdruck auch weiterhin verwenden) hat bisher nur wenig andere konkrete identifizierende Merkmale als ihren Gravitationseinfluss und ihre derart schwache Wechselwirkung geliefert.
Abb. 74: Tortendiagramm zur Illustration der relativen Mengen sichtbarer Materie, dunkler Materie und dunkler Energie, aus denen das Universum besteht.
Außerdem deuten der Einfluss der Gravitation und Messungen auf das Vorhandensein von etwas noch Rätselhafterem als der dunklen Materie hin. Dabei handelt es sich um Energie, die zwar das Universum ausfüllt, sich aber nicht wie gewöhnliche Materie verdichtet oder bei der Expansion verdünnt wird. Sie ist der Energie sehr ähnlich, die die Inflation auslöste, aber ihre heutige Dichte ist viel geringer als damals.
Obwohl wir heute in einer Renaissanceperiode der Kosmologie leben, in der Theorien und Beobachtungen bis zu einem Stadium fortgeschritten sind, in dem bestimmte Ideen präzise getestet werden können, leben wir auch in einem finsteren Zeitalter. Etwa 23 Prozent der Energie des Universums wird von dunkler Materie ausgemacht und annähernd 73 weitere Prozent gehen auf das Konto der geheimnisvollen dunklen Energie, wie das Tortendiagramm zeigt (siehe Abbildung 74).
Das letzte Mal, als in der Physik etwas »dunkel« genannt wurde, war in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Urbain Jean Joseph LeVerrier aus Frankreich die Existenz eines unsichtbaren dunklen Planeten vorschlug, den er Vulkan nannte. Leverriers Ziel war es, die eigenartige Umlaufbahn des Planeten Merkur zu erklären. Gemeinsam mit John C. Adams aus England hatte Leverrier zuvor schon die Existenz von Neptun abgeleitet, und zwar anhand seiner Wirkungen auf den Planeten Uranus. Doch bei Merkur täuschte er sich. Es stellte sich heraus, dass der Grund für Merkurs seltsame Umlaufbahn viel dramatischer als die Existenz eines weiteren Planeten war.
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