Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
genauesten bestätigten Vorhersagen der gesamten Naturwissenschaft geliefert. QED ist von der geometrischen Optik zwar weit entfernt, doch sind beide in ihrem entsprechenden Geltungsbereich korrekt.
Jedes Gebiet der Physik zeigt diese Idee einer effektiven Theorie in Aktion. Die Naturwissenschaft entwickelt sich in dem Maße, in dem alte Vorstellungen in fundamentalere Theorien eingegliedert werden. Die alten Vorstellungen gelten zwar immer noch und können auch praktisch anwendbar sein. Aber sie gehören nicht mehr zum Gebiet der Forschung an vorderster Front. Obwohl der Schlussteil dieses Kapitels sich auf das besondere Beispiel der physikalischen Interpretation des Lichts konzentrierte, hat sich die gesamte Physik auf diese Weise entwickelt. Die Naturwissenschaft schreitet zwar mit Ungewissheiten in den Randbereichen voran, macht aber insgesamt systematisch Fortschritte. Effektive Theorien, die sich auf einen bestimmten Größenbereich beziehen, ignorieren zu Recht Effekte, von denen wir nachweisen können, dass sie sich auf keinerlei Messungen auswirken. Die Weisheit und die Methoden, die wir uns in der Vergangenheit angeeignet haben, gelten auch weiterhin. Aber Theorien entwickeln sich in dem Maße, in dem wir ein größeres Spektrum von Entfernungen und Energien verstehen. Durch Fortschritte gelangen wir zu neuen Erkenntnissen darüber, was die Phänomene, die wir sehen, auf grundlegende Weise erklärt.
Das Verständnis dieser Entwicklung ermöglicht uns eine bessere Deutung der Eigenart der Naturwissenschaft und ein besseres Verständnis der Hauptfragen, die die Physiker (und andere) heute stellen. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass die heutige Methodologie in vielen Hinsichten schon im 17. Jahrhundert begann.
Kapitel 2
Geheimnisse ergründen
Die Methoden, die Naturwissenschaftler heute verwenden, sind die jüngste Gestaltwerdung in einer langen Geschichte von Messungen und Beobachtungen, die im Lauf der Zeit entwickelt wurden, um wissenschaftliche Ideen zu überprüfen und – was genauso wichtig ist – um sie auszuschließen. Dieses Bedürfnis, über unser intuitives Erfassen der Welt hinauszugehen, um unser Verständnis zu fördern, spiegelt sich genau in unserer Sprache wider. Der Wortstamm der romanischen Sprachen für »Gedanke« – pensum – kommt von dem Verb »wägen«. Auch Sprecher des Deutschen »erwägen« Ideen.
Viele der prägenden Einsichten, die der Naturwissenschaft ihre moderne Gestalt gaben, wurden im 17. Jahrhundert in Italien entwickelt, und Galilei spielte dabei eine Schlüsselrolle. Er war einer der Ersten, die indirekte Messungen – Messungen, die mit einer zwischengeschalteten Vorrichtung vorgenommen wurden – umfassend verstanden und förderten und außerdem Experimente als Mittel zur Feststellung wissenschaftlicher Wahrheit entwarfen und durchführten. Darüber hinaus dachte er sich abstrakte Gedankenexperimente aus, die ihm dabei halfen, seine Ideen zu entwerfen und widerspruchsfrei zu formulieren.
Ich erfuhr von Galileis vielen Einsichten, die die Naturwissenschaft grundlegend veränderten, als ich im Frühjahr 2009 Padua besuchte. Ein Anlass für meinen Besuch war eine Physiktagung, die der Paduaner Physikprofessor Fabio Zwirner organisiert hatte. Der andere bestand in der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt. Ich war hocherfreut, meinen an der Tagung teilnehmenden Kollegen aus der Physik zu begegnen, sowie mich der geschätzten Gruppe von »Mitbürgern« anzuschließen, zu der die Physiker Steven Weinberg, Stephen Hawking und Ed Witten gehören. Und als Zugabe hatte ich die Gelegenheit, etwas Wissenschaftsgeschichte zu lernen.
Der Zeitpunkt meiner Reise war günstig, da 2009 der 400. Jahrestag von Galileis ersten Himmelsbeobachtungen war. Die Bürger Paduas zeigten sich besonders aufmerksam, weil Galilei an der dortigen Universität zur Zeit seiner bedeutendsten Forschungen lehrte. Um seiner berühmten Beobachtungen zu gedenken, hatte die Stadt Padua (sowie Pisa, Florenz und Venedig – weitere Städte, die eine herausragende Rolle im wissenschaftlichen Leben von Galilei spielten) Ausstellungen und Feierlichkeiten zu seinen Ehren geplant. Die Physikvorträge fanden in einem Saal im Centro Culturale Altinate (oder San Gaetano) statt, im selben Gebäude, das eine faszinierende Ausstellung beherbergte, die Galileis zahlreiche anschauliche Leistungen feierte und seine Rolle für die Veränderung und Bestimmung dessen hervorhob, was
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