Die Vermessung des Universums: Wie die Physik von morgen den letzten Geheimnissen auf der Spur ist (German Edition)
Naturwissenschaft heute bedeutet.
Die meisten Leute, die ich traf, schätzten Galileis Leistungen und brachten ihre Begeisterung für die modernen wissenschaftlichen Entwicklungen zum Ausdruck. Das Interesse und Wissen des Paduaner Bürgermeisters, Flavio Zanonato, beeindruckte sogar die ortsansässigen Physiker. Das Stadtoberhaupt beteiligte sich nicht nur aktiv an wissenschaftlichen Gesprächen bei einem Abendessen, das nach der öffentlichen Vorlesung stattfand, die ich gab, sondern überraschte die Zuhörer während der Vorlesung selbst mit einer scharfsinnigen Frage über den Ladungsfluss am LHC.
Als Teil der Zeremonie zur Ernennung als Ehrenbürger gab mir der Bürgermeister den Schlüssel für die Stadt. Der Schlüssel war phantastisch – er entsprach völlig meinen Vorstellungen, wie ein solcher Gegenstand aussehen sollte, die ich aus Filmen hatte. Groß und aus Silber und schön ziseliert veranlasste es einen meiner Kollegen zu der Frage, ob er aus einer Harry-Potter-Geschichte stamme. Es war ein zeremonieller Schlüssel, der nicht wirklich etwas aufschließt. Doch es war ein schönes Symbol für den Einzug – natürlich in eine Stadt, aber in meiner Vorstellung auch in ein reich verziertes Portal des Wissens.
Zusätzlich zu dem Schlüssel überreichte mir Massimilla Baldo-Ceolin, eine Professorin an der Universität Padua, eine venezianische Gedenkmedaille, die osella genannt wird. In sie ist ein Zitat Galileis eingraviert, das auch über der Physikabteilung der Universität prangt: »Lo stimo più il trovar un vero, benché di cosa leggiera, che ’l disputar lungamente delle massime questioni senza conseguir verità nissuna.« Die Übersetzung lautet: »Ich halte es für besser, eine Wahrheit über etwas herauszufinden, wie klein es auch sei, als mich an langwierigen Streitgesprächen über die größten Fragen zu beteiligen, ohne zu irgendeiner Wahrheit zu gelangen.«
Ich teilte diese Einstellung mit vielen Kollegen auf unserer Tagung, da es sich dabei tatsächlich bis heute um ein leitendes Prinzip handelt. Schöpferische Fortschritte haben ihren Ursprung oft in zu lösenden Problemen – ein Punkt, auf den wir später noch zurückkommen werden. Nicht alle Fragen, auf die wir eine Antwort finden, haben unmittelbare drastische Folgen. Doch Fortschritte, auch wenn sie anscheinend nur schrittweise stattfinden, führen gelegentlich zu größeren Wandlungen in unserem Verstehen.
Dieses Kapitel beschreibt, wie die gegenwärtigen Beobachtungen, die dieses Buch darlegt, in Entwicklungen verwurzelt sind, die im 17. Jahrhundert auftraten, und wie die grundlegenden Fortschritte, die zu jener Zeit gemacht wurden, das Wesen von Theorie und Experiment zu bestimmen halfen, auf das wir uns heute berufen. Die großen Fragen sind in mancher Hinsicht dieselben, die die Naturwissenschaftler seit 400 Jahren stellen, aber aufgrund technologischer und theoretischer Fortschritte haben sich die kleinen Fragen, die wir jetzt stellen, ungeheuer entwickelt.
Galileis Beiträge zur Naturwissenschaft
Naturwissenschaftler klopfen an der Himmelspforte an, um die Schwelle zu überschreiten, die das Bekannte vom Unbekannten trennt. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt beginnen wir mit einem Bestand von Regeln und Gleichungen, die Phänomene vorhersagen, welche wir gegenwärtig messen können. Jedoch versuchen wir immer, in Bereiche vorzudringen, die wir durch Experimente noch nicht erforschen konnten. Mit Hilfe von Technik und Mathematik nähern wir uns systematisch Fragen, die in der Vergangenheit Gegenstand bloßer Spekulation oder Glaubensüberzeugung waren. Durch bessere und zahlreichere Beobachtungen und mit besseren theoretischen Rahmenkonzepten, die neuere Messungen umfassen, entwickeln die Naturwissenschaftler ein umfassenderes Verständnis der Welt.
Ich verstand die Schlüsselrolle, die Galilei für die Entwicklung dieser Art des Denkens spielte, besser, als ich Padua und seine geschichtlichen Sehenswürdigkeiten erkundete. Die Scrovegni-Kapelle ist einer der berühmtesten Orte und beherbergt Giottos Fresken aus dem frühen 14. Jahrhundert. Diese Gemälde sind aus vielen Gründen bemerkenswert, doch für Naturwissenschaftler ist das äußerst realistische Bild des Vorüberfliegens des Halley’schen Kometen (über der Anbetung der Könige ) ein Juwel (siehe Abbildung 6). Der Komet war zu der Zeit, als das Gemälde entstand, mit dem bloßen Auge deutlich sichtbar.
Abb. 6: Giotto malte diese Szene, die in der
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