Die Verraeterin
aus fünfzehn Männern war ausgesprochen zufrieden mit der positiven Reaktion der Menge auf die Demonstration künstlicher Demokratie. Die Mitglieder saßen selbstzufrieden und herausgeputzt auf einem erhöhten Podium im vorderen Teil des Saals hinter einem langen Eichentisch, der von einem dunkelgrauen Leinenstoff bedeckt war. Immer wieder nickten sie der Menge zu und murmelten einander selbstgefällig Glückwünsche zu.
In der Mitte des großen Raumes stand ein hoher, unheimlich aussehender Apparat auf einem Gerüst. Die Maschine bestand aus blutrotem Holz, schimmerndem Metall und scharfen, schräg verlaufenden Klingen. Sie war aus einem Schuppen hinter dem Herrenhaus herausgeholt worden, wo früher einmal der Jagdaufseher seine Gerätschaften aufbewahrt hatte. Jetzt befand sich dort eine Sammlung makabrer Gegenstände, Folterbänke, Brecheisen, Sägen und Garrotten, die nicht selten gebraucht wurden. Neben dem Apparat befand sich jetzt ein Scharfrichter, der eine große Kapuze trug und schweigend darauf wartete, seines Amtes walten zu können.
Obwohl die Ikati in vielerlei Hinsicht durchaus im einundzwanzigsten Jahrhundert lebten, hatten sich ihre Seelen und ihre Traditionen seit Jahrtausenden nicht verändert. Ebenso wenig war das Gesetz den modernen Zeiten angepasst worden, und auch die Bestrafungen für diejenigen, die es brachen, waren noch immer die gleichen.
Konspiration mit dem Feind war für die Ikati noch immer ein Verbrechen, das die härteste Strafe von allen nach sich zog.
Neben dem Podest der Ratsmitglieder stand ein weiteres, auf dem sich zwei üppig verzierte Mahagonistühle mit großen Kissen befanden. Dort saß ein Mann, der höchst attraktiv war und etwas Löwenartiges besaß. Mit Raubtieraugen und ebenso schwarzen Haaren wie der Rest seiner Spezies beobachtete er schweigend die Menge. Seine Haltung wirkte entspannt. Nur der Zeigefinger seiner gebräunten rechten Hand klopfte unruhig auf die schimmernde Armlehne seines Throns und verriet seine innere Zerrissenheit. Der Thron neben ihm, auf den er immer wieder einen raschen Blick warf, war leer.
Seine Frau hatte sich geweigert, an dem Ereignis teilzunehmen.
Alle wussten, dass die neue Königin und die Verräterin, auf die die aufgeregte Menge wartete, einander nahegestanden hatten. Für die Königin war der Verrat besonders schwer zu ertragen gewesen.
Ebenso bekannt war die Tatsache, dass es die Königin bisher abgelehnt hatte, sich einzumischen oder auch nur mitzuteilen, was ihrer Meinung nach im Namen der Gerechtigkeit zu geschehen hatte. Dieses Schweigen galt allgemein als eindeutiges Zeichen ihrer Zustimmung, obwohl sie das Recht und die Autorität besessen hätte, genau das zu tun, was sie wollte – selbst wenn es sich um eine vollständige Begnadigung handelte.
Sie allein befand sich außerhalb des Gesetzes, das den Rest ihrer Spezies so gnadenlos beherrschte. Sie allein war souverän und stand in der Hierarchie sogar über ihrem Mann, dem Alpha, dem Mächtigsten der Kolonie. Im Gegensatz zu den anderen konnte sie bleiben oder gehen, ganz wie sie wollte. Wenn es ihr in den Sinn gekommen wäre, hätte sie nackt auf dem beleuchteten Ball tanzen können, der immer zu Silvester auf dem Times Square in New York das neue Jahr einläutete. Sie kam aus der Welt außerhalb von Sommerley und besaß die Freiheit, wieder dorthin zurückzukehren. Stattdessen hatte sie sich jedoch entschlossen, im Geheimen zu leben, mit ihrem Clan und ihrem schönen Mann, der jetzt der Hinrichtung zusehen musste, die er zwar abgesegnet hatte, an der er aber nicht teilnehmen wollte.
Da die Königin den Entschluss gefasst hatte zu bleiben, wurde sie von ihrem Volk zutiefst verehrt, und weil sie sich nicht in die Geschäfte des Rats einzumischen schien, hatte auch dieser – obgleich unwillig – begonnen, ihr seinen Respekt zu zollen.
Mit einer langsamen, majestätischen Bewegung, die sogleich die Menge zum Verstummen brachte, öffnete sich die Doppeltür aus Elfenbein und Goldblatt am anderen Ende des großen Saals. Alle wandten den Blick in diese Richtung und hielten den Atem an.
Bis Morgan schließlich sah, was sie erwartete, hatte sie gehofft, auf diesen Moment vorbereitet zu sein. Törichterweise hatte sie geglaubt, dass alles rasch und relativ schmerzlos über die Bühne ginge: die Guillotine oder das Enthaupten durch ein Schwert oder vielleicht auch ein Exekutionskommando. Etwas, das sie mit Würde ertragen konnte, wobei diese Würde ihrer Psyche mehr
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