Die verratene Nacht
hätte. Und sich immer noch einen Sinn für Humor bewahrt hatte.
Das hier, so dachte er wieder bei sich, war eine Frau, die gelebt hatte. Interessant. Barmherzig. Selbstsicher.
In ihm löste sich etwas, als er auf die feinen Linien außen an ihren Augen und in der hauchdünnen Haut darunter blickte, auf die kleinen Grübchen, die ihre beiden Mundwinkel einrahmten, auf den Schwung ihrer Wangenknochen und ihre schmale Nase. Er sah da zum ersten Mal das ganz schwache Muster von Sommersprossen auf ihrer Haut. Ihre Lippen waren breit und voll, und ihr dichtes, schweres Haar fiel ihr in einem Knäuel über Gesicht und Hals.
Sie blickte hinter ihn, zum Fenster hin, und er sah die Veränderung in ihrem Gesichtsausdruck. Fast unmerklich, aber doch sichtbar. Sie schaute ihn wieder an.
„Was ist?“, fragte er.
Sie lächelte. „Nichts. Gar nichts“, sagte sie. Dann streckte sie die Hand nach ihm aus, nach den ersten Anzeichen von einem Ständer, der schon wieder begonnen hatte auf sie zu reagieren, und fügte hinzu. „Nichts, um das wir uns nicht kümmern könnten.“
Sie log.
Aber den Gedanken schob er beiseite und zog sie an sich, für einen Kuss. Er würde es sie vergessen machen, was auch immer sie in die Nacht dort hinausrief. Er würde dieses Bett nicht verlassen, dieses Zimmer, ihr nicht von der Seite weichen, bis sie beide bewegungsunfähige, gesättigte Haufen von Knochen aus Wackelpudding und nasser Haut waren.
~*~
Theo öffnete die Augen, um Dunkelheit vorzufinden. Ein dünner Mondstrahl floss zu ihm durch das Fenster, hob die Umrisse des Bettes hervor, die zerwühlten Kleider und Laken.
Er setzte sich ruckartig auf, als ihm aufging, dass das Bett bis auf ihn selbst leer war. Selenas Bett. Leer.
Scheiße.
Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, wie sie etwas murmelte ... fortschlüpfte, während er in gesättigten Schlaf hinüberglitt ... was hatte sie gesagt? Und wie zum Teufel hatte sie – nach den letzten paar Stunden – noch überhaupt Energie übrig, um sich zu rühren?
„Ich muss nach Robert schauen gehen.“
Das war es, was sie gesagt hatte. Sie würde nach unten gehen, um nach ihrem Patienten zu schauen.
Theo kroch aus dem Bett, das Herz schlug ihm jetzt etwas heftiger, ein mulmiges Gefühl lag ihm schwer im Magen. Nach der Stockfinsternis da draußen zu schließen, war das schon eine ganze Weile her. Viel zu lange her.
Er suchte unbeholfen herum, war sich nicht sicher, wo es hier Licht gab – zum Teufel, das hatten sie eben nicht gebraucht – und hatte auch keine große Lust nach einem zu suchen, als er ganze Kleiderbündel hochhob und darin nach seiner Shorts suchte.
Ein weiterer Blick zum Fenster und das mulmige Gefühl verstärkte sich. So töricht könnte sie nicht sein. Sie hatte immer noch Wunden am Leib ... verkrustete Schnitte, die er sanft geküsst hatte und auf die er während ihrer Liebesspiele sorgfältig Acht gegeben hatte.
Er hielt inne und lauschte ... und dann hörte er es, dort in der Ferne. Das Geräusch ließ ihm das Blut gefrieren und er rannte barfuß aus dem Zimmer.
Ruuu-uuuthhhhhh.
Er wusste es. Er wusste es einfach, dass sie nicht bei Robert war, dass sie nicht bei irgendeinem anderen Patienten oder bei Sam oder sonst wem war. Dass sie hinaus gegangen war.
Das Haus war still. Natürlich war es das. Sie schlich sich nur raus, wenn alle anderen schliefen. Verdammt.
Theo machte in der Küche Station, um zu versuchen dort eine Waffe zu finden – etwas, egal was –, die er benutzen konnte. Eine Flasche Bier auf dem Tresen – wahrscheinlich von Frank. Sie war halbvoll (vielleicht doch nicht von Frank; er schien nie etwas übrig zu lassen) und als Theo sich die griff, zusammen mit einem von Vonnies Geschirrtüchern, fragte er sich, ob Bier genug Alkohol hatte, um es in einen Molotov-Cocktail zu verwandeln.
Streichhölzer. Noch etwas anderes. Ein Messer? Eine Pistole? Sie hatten keine Pistolen. Nur die Fremden hatten Pistolen. Und ein paar Mitglieder vom Widerstand. Was noch?
Trotz der Tatsache, dass seine Gedanken durcheinander wirbelten und brabbelten, hatte Theo sich schnell ausgerüstet, geschmeidig und mit einem Ziel vor Augen. Jene Stunden mit Vonnie in der Küche, wo er ihr zuschaute, hatten sich irgendwie in sein Gedächtnis eingegraben und er fand die Dinge, die er brauchte: ein paar selbstgebastelter Streichhölzer, sogar den Whisky, den Vonnie vor ein paar Nächten für Selenas Wunden verwendet hatte.
Das würde eine nette kleine Bombe
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